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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Zufriedenheitsbenchmark im Altersheim

∞  12 November 2011, 21:12

Das Gesundheitswesen der Schweiz ist eines der weltweit anerkannt besten – und auch eines der teuersten. Entsprechend häufig sind die neuen Drehs, mit denen man versucht, die Abwälzung dieser Kosten gerechter einzurichten – und sie mit geeigneten Massnahmen einzudämmen.


Dazu gehört auch die immer durchgehender und absoluter erfolgende Neustrukturierung von Spitälern und Alters- und Pflegeheimen in betriebswirtschaftlich optimierte Betriebe – wobei das Controlling von der Verwaltung aus durch die Bürowände in jedes Patientenzimmer und in jeden Behandlungsraum dringt, bis am Ende nichts mehr nicht standardisiert erscheint – womit der Mensch, der hinter diesen Leistungen steht, als Leistender und als Empfänger, noch mehr gefordert ist. Er muss nämlich irgendwo parallel zu den Taxpunkten für jedes Pflästerli noch die Begegnung mit dem Patienten unterbringen, und manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass es mit der Einführung des durchgreifenden Controllings und die entsprechende Definition aller Pflege- und Behandlungsabläufe rein gar nichts mehr gibt, das nicht dem dauernden Problem unterworfen wäre, vor allem eines zu sein: Ein Kostenfaktor eben. Und damit immer im Verdacht, zu teuer zu sein.

Ich war heute an einer Informationsveranstaltung eines Altersheims, das über eine externe Untersuchung über die Zufriedenheit der eigenen Leistungen berichtete – bei den Bewohnern wie bei deren Angehörigen. Die Angehörigen bekamen einen Fragebogen zugestellt, die Bewohner wurden in “Interviews” befragt.

Fazit: “Das Benchmarking” hat auch im Altersheim Einzug gehalten. Natürlich wird diese Untersuchung in Relation zu parallelen weiteren Befragungen in anderen Heimen der Schweiz gestellt, so dass man uns bei dieser Gelegenheit anlässlich der offiziell präsentieren Auswertung eröffnen konnte, dass das hiesige Heim im Bereich “Freizeitaktivitäten” den Zufriedenheitsbenchmark um 15.3% übertroffen hat. Oder so was in der Art.

Hoppla. Ich habe schnell einmal den ablenkenden Gedanken verscheucht, der mich fragen wollte, ob diese Terminologie in der Entourage wirklich interpretiert werden könne, und konzentrierte mich auf Differenzierungen, auf die ich hätte wetten können: Die unterschiedliche Wahrnehmung von Bewohnern und Angehörigen nämlich.

Angehörige sind nie Zugehörige


Habe ich schon zuhause vor dem Fragebogen sitzend festgestellt, dass ich – als höchst unregelmässiger Besucher – schlecht bis gar nicht beurteilen kann, ob das Angebot an Freizeitaktivitäten ausreicht, um bei diesem Beispiel zu bleiben, so bestätigte sich im Ergebnis das, was leicht zu vermuten war: Das Ergebnis der Befragung zeigte quer durch den Fragenkatalog eine tendenziell kritischere Beurteilung der Leistungen durch die Bewohner, während die Angehörigen – wenn überhaupt – deutlich positivere Urteile abgaben. Irgendwie ist das aber auch mehr als verständlich:

Denn wenn man so über den Fragen sitzt, und dann feststellt, dass dieses oder jenes Angebot eigentlich höchst durchschnittlich ist, so muss man sich gleichzeitig fragen lassen, warum man denn eigentlich noch nie interveniert oder zumindest nachgefragt hat…? Mutter oder Vater oder Beide sind doch ja doch ganz gut versorgt, und der eigene Wohlfühlbenchmark ist nicht unwesentlich davon abhängig, wie leicht ich mir das weiter selbst versichern kann.

Für eine besonders kritische Beantwortung des Fragebogens, quasi als Kompensation eigener aufgelaufener Kümmerungsversäumnisse, waren die Fragen zu professionell abgefasst – und zu glaubwürdig darauf ausgerichtet, wirklich Fleisch an den Knochen zu kriegen und zu erfahren, wo der Schuh drückt. Nur: Weiss ich das eigentlich? Rede ich genug mit meiner Mutter darüber? Sie ist eine ziemlich wehrhafte Frau und macht den Mund auf, ich muss mich also nicht vor sie stellen. Aber was ist mit der Mehrzahl der Bewohner, welche nicht unbedingt mehr absolut problemlos kommunizieren können? Wie “urteilen” wir überhaupt darüber, wie es einem anderen Menschen in einer bestimmten Situation geht oder gefällt?

Wie gesagt: Das Ergebnis ist entsprechend. Sogar und gerade bei so profanen Dingen wie dem Essen. Eigentlich ein Thema, über das man doch häufig Small Talk betreibt. Was noch etwas anderes zeigt: Wirklich wichtig sind auch hier die kleinen Dinge. Zumindest wenn man selbst im Haus sitzt und diese kleiner gewordene Welt die eigene und einzige ist.

Das Altersheim hat in den vielen Vergleichserhebungen übrigens ganz allgemein sehr gut abgeschnitten. Am meisten freut mich dennoch etwas ganz anderes:

Die Zeit und Ernsthaftigkeit und die inhaltliche Ausführlichkeit, mit der man die Vorstösse meiner Mutter nicht nur zur Kenntnis nimmt – sondern sie mit der Art der Diskussion auch mit Respekt behandelt. Gut, dass die Leitung diesen Job jenseits aller Bewertungsmassstäbe als Dienst am Kunden versteht. Natürlich wurde die diesbezügliche Zufriedenheit auch ermittelt – mit supi Benchmark für das Altersheim. Bei dem Beispiel haben wir beide, Mutter und ich, auf jeden Fall begriffen, was gemeint war. 100%ig. Wie das Ergebnis.

Ich könnte mir vorstellen, dass, würde das Personal die Angehörigen umgekehrt bewerten können und gefragt werden, wie denn die Kommunikation umgekehrt sei, die Gelegenheit günstig wäre für einen allgemein gültigen, aber gezielt auszuführenden Einwurf:
Da kommt viel zu wenig, Leute.