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Wissen, wer finanziert, und also regiert

∞  5 Dezember 2011, 20:09

Die Schweiz finanziert sich privat. In vielem wohl zu privat.


Die Schweiz ist ein verschwiegenes Land. Uns allen ist die Privatsphäre wichtig. Reiche Ausländer lassen sich bei uns sicher nicht der guten Luft wegen nieder, aber ein wesentlicher Grund ist bestimmt auch die Diskretion – die ich auch hier in einem guten Sinn verstanden haben möchte: Die Neidgesellschaft ist bei uns wenig ausgeprägt. Das mag uns verwundern, ärgern wir uns doch schon mal über unbotmässige Neugier und Missgunst bei Erfolg. Ganz offensichtlich paaren wir unseren Hang zum Understatement aber mit einer hoch empfindlichen Abwehrhaltung gegen jede Einmischung – und leben gut damit, diesen Anspruch allen zu gönnen.

Wir sind uns ausserdem gewohnt, dass in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens private Initiative mit entscheidend ist. Sponsoren, Mäzene, Gönner, Investoren, Lobbyisten. Die Übergänge sind fliessend, und die Schweiz ist mit diesem Grundvertrauen in die zivilen Kräfte und einer liberalen Wirtschaftsordnung im internationalen Vergleich sehr gut gefahren. Wundersam gut, würde man fast meinen, wenn man bedenkt dass dazu eine prakitsch reine Milizarmee und – vor allem – ein Milizparlament gehört. Da sitzen in allen Parlamenten, auch in Bundesbern, Lehrer, Professoren, Juristen, Bauern und Unternehmer Schulter an Schulter im Parlament und politisieren im Nebenamt. Wir kennen den Typus des Berufspolitikers nur in den Exekutivfunktionen. Den Berufsparlamentarier gibt es nicht.

Also gibt es auch kein Gesetz über die Parteienfinanzierung. Und das ist nun tatsächlich je länger je mehr ein Problem, weil die ausgeprägte Intransparenz die Korruption begünstigt.

Zu den Fakten:
Es fehlen in Bundesbern und in fast allen Kantonen Gesetzesbestimmungen, die für die Transparenz der Finanzierung von Parteuen und – fast noch wichtiger – von Wahl- und Abstimmungskampagnen sorgen. Die Parteien gelten als private Organisationen und sind als Vereine organisiert. Sie müssen ihre Einkünfte nicht offenlegen, was bedeutet, dass Spenden an Parteien, egal welcher Höhe, anonym erfolgen können. Es gibt denn auch separat geäufnete Abstimmungsgeld-Töpfe, und “Nebeneinkünfte” für Parlamentarier. Von vielen weiss man immerhin, dass sie im konkreten Einflussbereich von Lobbyisten gehören, bzw. eine bestimmte Lobby ganz direkt im Parlament vertreten.
Das Milizsystem läuft nun mal vorrangig über private Kontakte. Und dazu gehört, dass sehr Vieles an ihnen wirklich privat bleiben kann. Das in Verbänden und Unternehmen aufgebaute Netzwerk will niemand aufgeben. Die darin liegende materielle Sicherheit ist aber nicht die Art von materieller Unabhängigkeit, die sich das Volk für seine Vertreter im Parlament vorstellen dürfte…
Weiss ich, dass private Stellen einen Betrieb finanzieren und nehme ich das in Kauf, so muss ich auch damit rechnen, dass diese Instanzen dann im Interesse der Geldgeber funktionieren. Der Einfluss finanzstarker Interessengruppen auf die Politik lässt sich in unserem Milizsystem gar nicht richtig abschätzen. Wirtschaft und gesellschaftliche Institutionen haben gegenüber der Politik in der Schweiz traditionell einen hohen Stellenwert. Die Mechanismen der direkten Demokratie lassen die Politik erst recht kontrollierbar erscheinen.

Und darum wird es wohl noch sehr lange kein Parteienfinanzierungsgesetz in der Schweiz geben, wie es die Greco, die Staatengruppe des Europarats gegen die Korruption (der die Schweiz beigetreten ist) in ihrem Evaluationsbericht fordern würde. Denn wollte die Schweiz diesen Forderungen nachkommen, müsste sie die Finanzierung der Politiker aus staatlichen Mittlen gewährleisten. Die Folge wäre ein kompletter Systemwechsel. Der ist nicht wahrscheinlich.

Ist das der Grund, dass sich politisch auch nichts tut, wenn es darum geht, gesetzliche Regeln für die Transparenz der Eigentumsverhältnisse an Medienerzeugnissen festzuschreiben? So ist es also möglich, dass Interessenten versteckt Medien finanzieren, welche heimlich finanzierte Politiker in der Meinungsbildung unterstützen. Ich habe nicht den Eindruck, dass das, was viele Jahrzehnte lang gut für uns war, so vorteilhaft bleiben muss, nicht wahr?

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Zum Thema: nzz.ch, Keiner weiss, wo das Geld herkommt, via mycomfor