Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wissen und Phantasie

∞  26 Juni 2008, 16:45

Manchmal dünkt es mich, wir würden dem Rausch der Technik erliegen, in ihm ersaufen, bevor wir über der Technik Segen zu jubeln beginnen können.

Eine neue Software, ein neues Tool für die Web-Seite, fürs Blog. Wow! Ich bekomme einen langen Hals, falle fast in den Bildschirm hinein und muss das nette Supplement sofort haben.
Oder das neue Auto – hatte ich nicht schon vor sechs Jahren das Gefühl, nun auf vier Rädern so ziemlich alles um mich herum zu haben, was denkbar wäre und nötig sein könnte.
Denkste. Es geht immer weiter.

Oder: Wie viel neue Software habe ich denn auf dem Laptop, die ich niemals ausgeschöpft habe noch ausnützen werde? Dafür ist die Festplatte (schon wieder) am Anschlag.

Wissen bedeutet Macht, heisst es. Wer seine Werkzeuge zu bedienen weiss, ist geschickter als andere. Schneller. In der Computerarbeit versiert zu sein, bedeutet, die Arbeit rationeller zu leisten. Aber werde ich dank des Computers auch freier von meinem Müssen? Gewinne ich Zeit? Wahrscheinlich. Nur, dass ich sie dann postwendend wieder mit dem Computer fülle – oder aus dem einfachen Foto eben eine Photoshop-Optimierung wird, so, wie früher aus der Maschinen-Seite eines Briefes ein Word-Dokument wurde.

Das Wissen, das wir uns durch unsere Arbeitstechniken erschliessen, scheint mir irgendwie immer Gefahr zu laufen, an diese Techniken gebunden zu bleiben. Es ist, als wäre das Wissen gar weniger erstrebenswert als die Erfahrung, wie ich dazu gekommen bin.

Und wie, bitteschön, merke ich mir dieses Wissen? Wie wird es ein Teil von mir, eine Erfahrung, gelebt, verifiziert und genützt?
Egal, wie viel ich mir aneigne – die Menge davon, die ich “weiss”, ist immer begrenzt. Mein Wünschen vermag ich damit nicht zu tilgen, noch zu mindern. Denn jenseits allen Wissens oder Könnens bleibt das Vermutete, noch Grössere, wie auch das wirklich Nachhaltige, das sich nicht abnützt.

Erfahrungen haben etwas Empirisches – ich kenne Wahrheiten, und mein Leben bestätigt sie mir – oder beweist mir brutal, wie falsch ich liege. Ich kann mich noch so schön in meinem Leben eingerichtet haben: Meine Gedanken bleiben frei, vollführen Bocksprünge, die nichts mit Unachtsamkeit zu tun haben. Nein, sie vervielfältigen sich, wenn wir sie dazu einladen, über alles Wissen hinaus zu fabulieren, zu träumen, das Denken zu wagen das vielleicht damit beginnt:

Was wäre, wenn?

Die Phantasie wagt den Ausbruch aus Formen, die Fabel, das Märchen, den Science Fiction Roman, Jurrassic Park, Harry Potter – aber auch die Liebeserklärung, das Gedicht, das Denken in Bildern, den alternativen Lebensentwurf, die Farbe im Grau. Die Phantasie ist nicht vernünftig, aber, Gott sei Dank, nicht begrenzt. Sie ist frei.


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Caro Nadler, Einstein über Wissen und Phantasie


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