Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wirklich ein besonderer Tag

∞  7 Mai 2010, 19:47

Bald ist er wieder da:
Der Muttertag.
Im so oft verschlafen wirkenden kleinen Ladenzentrum bei uns in der Nähe steht es auf der grossen Schiefertafel vor dem Eingang zum Blumenladen: 9. Mai Muttertag!
Und darunter: Wir haben von 8 – 12 h geöffnet.
Noch also dürfen es die lieben Kunden vergessen. Wenn sie dann am Sonntagmorgen sich aus dem Schlaf pellen und in die stumm fragenden Augen der Gattin hinein morgendämmern, dann wird es ihnen siedendheiss ins Kleinhirn blitzen, und dann ist die Schiefertafel die Rettung…
Ob eine Mutter bedienen wird, im Blumenladen, weiss ich nicht. Auch nicht, ob sich das rentiert?

Am Telefon erzählt die Freundin und Mutter, dass die Familie zusammen ist, am Muttertag. Leider ist sie nicht nur Mutter, sondern auch Grossmutter, und also kommen die Kinder, die Söhne und Schwiegertöchter, zu Besuch, weil es doch so praktisch ist und die Familie sich einfach nirgends so wohl fühlt wie in dieser geräumigen Wohnung und bei Grossmutters Küche. Und so wird dieser Muttertag sein wie viele zuvor und nette Worte bereit halten, und Arbeit, “die man doch gerne macht”. Und doch: Wenn die Grossmütter älter werden und sich an gewissen Mechanismen stören, so nagen in der Situation nicht die müden Füsse am Abend am meisten an der Psyche, sondern das offenkundige Talent der Jüngeren, nicht sehen zu müssen, was sie nicht sehen wollen…

Meine Mutter erzählte mir heute von der schmerzhaften Laserbehandlung der Augen. Viel Qual für die Aussicht, ein bisschen länger wenigsten so zu sehen, wie sie eben noch sieht. Und ich denke mit Scham daran, wie viele Tage ich nicht an ihre Situation gedacht habe. Dabei gibt es Augentropfen, welche im ganzen Körper Nebenwirkungen erzeugen können. Ich mag es mir gar nicht vorstellen… Ich spreche den Sonntag an, und dann wird sie ganz bestimmt: Ich solle Thinkabout’s Wife “gut tun”, gewissermassen wäre diese ja nun so etwas wie meine Mutter, womit sie schlicht daran erinnert, wer die wichtigste Frau in meinem Leben ist. Und dann erzählt sie von den Müttern im Altersheim, welche stolz Zeitungsberichte herum zeigen, wenn mal das eigene Kind irgendwo erwähnt wird. Das wiederum würde sie nie tun. Und dann kommt der Satz: Was man als Letztes den Eigenen zuliebe tun könne und müsse, sei, loszulassen und freizugeben.

Mutter hat einen weiten Weg zurück gelegt. Ich kenne kaum einen anderen Menschen, der ins hohe Alter hinein so mit sich und an sich gearbeitet hat. Da ist so viel Unverrückbarkeit, die ich oft als stur empfand, einer gelassenen Bereitschaft zum Zuhören gewichen. Und die Falle, Leidtragende der eigenen Erwartungen zu werden, schnappt immer öfter ins Leere. Ich werde Mutter besuchen. Nicht am Muttertag. Nächste Woche. Warum nicht an Auffahrt? So ganz unpassend ist das nicht: Ich bin froh, dass ich ihr schon ein paar Mal von meinem Respekt für ihren Weg ins Alter erzählt habe. Und ich freue mich, dass mein Brüedsch sie heute abend besucht. So rahmen wir sie ein bisschen ein, rund um den Muttertag.

Sie habe gehört, hat sie mir am Telefon noch erzählt, es gäbe Stimmen und Bestrebungen, den Muttertag abzuschaffen. Das würde sie schade finden. Es wäre ein weiteres Zeichen, dass die Menschen mit Gedenktagen nichts anzufangen wüssten, welche in irgend einer Form den Respekt in der Gemeinschaft wach zu halten versuchen würden. Oh ja.
Dabei kann Ich Ihnen versichern, dass meine Mutter nicht Söhne hat, die sich so ganz anders verhalten hätten als so, wie ich es oben geschildert habe. Meine hilflosen Versuche, dem ehrlichen Dank an diesem einen Tag Substanz zu geben, wenn auch nur für Minuten, mag ich gar nicht erinnern. Aber ganz offensichtlich hat Mutter auch diese Arbeit getan, die eben Mutterliebe ist: Sie hat dahinter gesehen und hat vielen Dingen ihre Richtigkeit lassen können. Eines bleibt bis zum Ende unverändert: Wir betten uns selbst. Wir erfahren nie alles, was wir an Zuneigung verdienen würden. Aber wir können darum wissen. Für noch mehr müssen wir uns nicht abmühen. Wir dürfen auch müde werden. Wenn wir nur das Lächeln ob der lieben bekannten eigenen und fremden Schwächen jener, die um uns sind, nicht verlieren, sondern es vertiefen, bis sie Lachfältchen werden.

Und doch wünsche ich mir aus tiefstem Herzen für Kinder und Mütter, dass so manche Mutter über Gebühr überrascht wird am Sonntag. Und dass der Tag bestehen bleibt. Er hat schon seine Richtigkeit. Ganz unaufgeregt. Als einfaches Dankeschön.