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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir wollen Helden. Wollen wir?

∞  17 August 2008, 16:58

Wir wollen Sieger und bekommen welche. Die Frage ist, was wir damit gewinnen – und was endgültig verloren geht.


Der Jamaikaner Usain Bolt ist der neue schnellste Mann der Welt. Im Olympiafinal von Peking hat er zehn Meter vor dem Ziel bereits Zeit, sich nach seinen Gegnern umzusehen. Seine Arme hören auf zu rudern, er lässt sie hängen und schlägt sich vor dem Zieleinlauf auch noch auf die Brust. Trotzdem läuft er mit 9.69 sec neuen Weltrekord, drei Hunderstel schneller, als je eine Läufermaschine vor ihm.

Das ist ungeheuerlich. Peter Minder, Schweizer Kommentator und sog. Leichtathletik-Experte, scheint Ähnliches zu denken. Man kann es in der momentanen Stille richtig hören. Dann sagt er: Experten hätten errechnet, dass bei optimalen Bedingungen auch eine Zeit von 9,60 sec möglich sei.

Ich kann mich noch erinnern, wie konsterniert Carl Lewis seinem Gegner Ben Johnson nachgesehen hat, als der ihn in Grund und Boden lief. Gedopt. Lewis selbst hat man alle seine Beteuerungen gerne geglaubt. Es war einfach ein Märchen, diesen Modellathleten in Weitsprung und Sprintdisziplinen so überlegen zu sehen. Er entblödete sich nicht, sich über den unsauberen Sport zu beklagen, bis er sich so sehr in falschen Beteuerungen verstrickte, dass er schliesslich das eigene Tun eingestehen musste.

Die Welt will Helden. Und die Sportkommentatoren auch. Peter Minder ist nicht der einzige, der nicht die Athleten anschwärzen will, die schlussendlich daran Schuld sind, dass wir ihm überhaupt bereit sind zuzuhören. Nein, Peter Minder ist in bester Gesellschaft. Denn heute höre ich Klaus Zaugg, wohl einen jener Sportschreiber mit der profiliertesten scharfen Note, zumindest in der Rhetorik, bei Radio 1 sagen:

Er glaube, dass der US-Amerikaner Phelps seine acht Goldmedaillen einfach seinem Jahrhunderttalent zu verdanken habe. Da käme alles zusammen: Technik, Persönlichkeit, Fleiss, Talent und optimale körperliche Proportionen.

Es gab in Peking 25 neue Weltrekorde im Schwimmen, die kommen zu den bisher 50 Stück im Vorfeld von Olympia noch dazu. Eine Leistungsexplosion wie noch nie.

Die Dopingkontrollen können gar nicht greifen. Die Behörde hat rund 50 Mio CHF zur Verfügung. Weltweit. Phelps ist eine Sonderprämie von einer Mio US-$ versprochen worden für seine acht Goldmedaillen. Und wenn wir ehrlich sind, finden wir das eher wenig bei den Summen, die sonst so herum geboten werden. Aber 50 Mio CHF sind im Gegensatz zum Milliardengeschäft Sport ein Klacks.

Heute können höchstens 50% der bekannten Dopingsubstanzen zuverlässig über Dopingtests nachgewiesen werden. In chinesischen Spitälern soll schon mit Gen-Doping gearbeitet werden. In rund vier Jahren dürfte zielgerichtetes Doping dieser Art möglich sein – und vielleicht auch schon verbreitet. Nicht nachweisbar.

Darüber zumindest muss dann nicht mehr gemutmasst werden. Seien wir ehrlich. Der Spitzensport ist am Ende. Wie man hört, soll der Radsport als olympische Sportart auf der Kippe stehen. Zu viele Dopingfälle. Schlecht fürs Image. Bitte? Und was ist mit Leichtathletik? Schwimmen? Was mit der unterschiedlichen Test-Praxis in den verschiedensten Ländern?

Ich schlage Gewichtheben vor als Feigenblatt. Da können sich dann alle in die Brust werfen, ganz ohne Eisenstangen, und sagen: Hey, seht her, wir wollen sauberen Sport. Und die ach so unabhängigen Journalisten werden darüber schreiben.

Es wird immer Spiele geben. Wir wollen diese Unterhaltung, wir wollen auch die Imagination der Helden, die durch Selektion und Kampf und Talent, werden, was sie für uns sein sollen.

Für Spitzenathleten mag die Rechnung aufgehen. Egal, wie beschwerdefrei die zweite Lebenshälfte sein wird. Aber wenn wir sie sehen am Bildschirm, dann gehören zu ihrer Geschichte immer hunderte, die daneben zurück geblieben sind, vergessen, gescheitert, aber vielleicht mit den gleichen Trainingsgeschichten versehen, ähnlichen medizinischen Bündnissen.

Und wie werden wohl wir unsere Herausforderungen am Arbeitsplatz meistern in einer Welt, die nicht so genau hinsieht und nicht weit vorausblickt. Wer weiss schon, was in fünf Jahren, in zehn sein wird? Der Wettkampf ist jetzt. Und er muss gewonnen werden. Unter allen Umständen. Die da wären?

Haben Sie gerade eine Ausmarchung verloren? Können Sie darüber lachen, schmunzeln oder daraus etwas lernen? Dann sind Sie meine Heldin, mein Held. Ich danke Ihnen.


[Bildbearbeitung: Thinkabout, Vorlage bei radiojamaica.com ]




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those little pills, I did like the blue ones – Ben Johnson