Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir wissen zu wenig – und doch genug

∞  21 März 2011, 17:03

Wir sind die Welt und die Welt hat ein Problem. Ein riesiges. Werden wir Kraft, Mut und Courage haben, uns das auch einzugestehen – und danach zu handeln?


Seit dem 11. März begleiten uns nun die Meldungen über die radioaktive Katastrophe in Fukushima. Weltweit sind wir vernetzt, wir fliegen ins Weltall und haben die menschlichen Gene entschlüsselt – und nun starren wir gebannt auf Helikopter, die Eimer Wasser so ungefähr über einen explodierten Kernreaktor schütten. Wir hören von Stromkabelleitungen, die gezogen werden sollen und von Wasserwerfern, die in Stellung gebracht werden. Und von Helden, mal sollen es nichtsahnende Obdachlose sein und dann wieder bewusste Kamikaze-Volontäre, die für uns alle dem Tod ins Auge sehen.

Alles dies ist im Grunde peinlich banal, kindlich, und führt unseren Glauben an die alles beherrschende Technik, die selbst beherrschbar bleibt, ad absurdum. Da gibt es direkt vor der Nase der Welt geborstene Kernreaktoren, und keiner hat so wirklich eine Ahnung, was in deren Innerem jetzt genau geschieht. Wenn ein Räuchlein oder Wasserdampf aufsteigt, bemüht sich die Fachwelt, dies zu deuten und daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Sichtbar in dieser Katastrophe ist eigentlich einzig unsere absolute Hilflosigkeit – und ein Ausschlag auf dem Geigerzähler und anderen Messgeräten, welche Masseinheiten verkünden, von denen die Allgemeinheit noch nie gehört hat.

Erste Nachrichten tauchen auf von verseuchtem Trinkwasser oder verstrahlten Lebensmitteln. Die Langzeitfolgen werden noch weniger als die unmittelbaren wirklich jemals messbar sein.
Aber wir wollen uns an Informationen halten, und debattieren über Konsequenzen, kaum haben wir aussortiert, was uns im Wust des Newsdunstes plausibel erscheint. Und so kommt es dann bei Anne Will zu einer Debatte darüber, ob die Kanzlerin nach dem dreimonatigen Moratorium den alten Status wieder installieren wird, was ihr Kalkül sein möge im ganzen Manöver, usw. Als ob irgend jemand heute voraussagen könnte, ob es in drei Monaten, in einem halben Jahr oder nach Jahren erst möglich sein wird, verlässliche Resultate der wirklichen Zerstörungen und Verstrahlungen zu bilanzieren.

Was ist das in uns, das immer sofort nach der Konsequenz schreit, nach Wissen und Folge, nach Geleit und Durchblick, lange bevor ein solcher überhaupt denkbar ist?

Es lässt sich doch im Moment nur eines mit Sicherheit sagen:
Wir haben einen Haufen Probleme und keine Lösungen. Das müssen wir aushalten. Sonst stecken wir den Kopf in den Sand – und Betreiberfirmen von Kraftwerken werden eher früher als später Sicherheitsinvestitionen wieder der Wirtschaftlichkeit opfern. Was aber wäre so furchtbar schlimm daran, wenn wir unser Leben auf geringeren Energiebedarf wirklich ausrichten müssten? Was würde das an Innovationspotential freisetzen, wenn plötzlich wirklich zählen würde, was bisher phantastisch schien: Sparpotentiale auszuschöpfen und die konsequente Förderung erneuerbarer Energie, die bisher viel zu teuer war.

Zu teuer? Kernenergie, überhaupt jede Form der Energie, die wir verbrauchen, wird nicht zu den tatsächlichen Kosten produziert. Die versicherte Schadensumme pro Kernkraftwerk beträgt wenige Milliarden Franken, die Endlagerung ist ungelöst und also in ihren Kosten auch nicht in der Energiegewinnung mit eingerechnet. Wir alle leben mit subventionierter Energie und mit Risikofaktoren, die, werden sie Realität, dem Gemeinwesen aufgebürdet werden. Da lässt sich schon diskutieren, ob die Bewertungskriterien für die Art Energie, die zu fördern ist, endlich verschoben werden sollten – oder?

Wir wissen von so vielen Dingen zu wenig. Und doch ist es genug, um wenigstens die Richtung vorzugeben, in die wir weiter zu fragen und zu forschen haben.

Ob Kernkraft, in welcher Form auch immer, überhaupt noch und wenn ja wie lange eine Energiequelle sein soll – das werden wir alle uns selbst zu beantworten haben. Und dabei wird sich auch die Frage stellen, ob wir es ernst meinen – mit unserem eigenen Verhalten. Irgendwie sind wir alle angesichts der surreal scheinenden Bilder aus Japan in der Realität angekommen. Es war offensichtlich höchste Zeit. Ob es zu spät war, weiss ich nicht. Ich glaube nach wie vor nicht daran, dass wir uns wirklich zu verantwortungsvollen Hütern unserer Ressourcen aufschwingen können. Was dann bedeuten würde, dass die aktuelle Havarie in Japan, wie schlimm sie am Ende sich auch wirklich auswirken wird, nur ein Zwischenergebnis ist in unserem Versuch, die Erde über Gebühr auszubeuten.

Wir stehen bei ihr nicht als Käufer an, zahlen keinen realen Gegenwert für ihre Gaben, sondern dringen in den Laden ein und rauben ihn aus.