Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir vergessen die Menschenrechte UND die Menschen nicht

∞  18 November 2009, 08:31

Die beiden Schweizer Geschäftsleute sind wieder aufgetaucht. Wenigstens das. Sie sitzen zwar in der Schweizer Botschaft fest, aber immerhin werden sie in Libyen von den dortigen Behörden nicht mehr versteckt festgehalten.
Nach über einem Jahr Gezerre und Festsetzung ohne konkrete Anklage soll es nun doch noch zu einem Prozess gegen die beiden Schweizer kommen. Die direkte Verknüpfung dieser Verstrickungen mit der zeitweiligen Verhaftung von Ghadafis Sohn in Genf ist nicht zu beweisen, mag sie auch noch so offensichtlich angenommen werden können. Fest steht, dass der libysche Revolutionsführer sich provoziert fühlte und darauf in so mancher Note auch entsprechend diplomatisch reagiert wurde.

Die Schweiz ihrerseits, und damit wir alle, haben umgekehrt auch ein Problem: Wir wünschen uns die Respektierung des Völkerrechts und die Gewährung unserer Souveränität als Staat, und als Bürger die Möglichkeit, Länder so zu bereisen, wie es die bekannten Regeln auch vorsehen. Niemand von uns wünscht sich, zum Spielball eines Spiels zu werden, mit dem wir als Person ganz augenscheinlich nichts zu tun haben.
Der Bundesrat hat darauf, in welcher Besetzung auch immer, ganz bestimmt nicht immer glücklich reagiert, aber die beiden Schweizer hatten immerhin das Glück, mit ihrem Problem wahr genommen zu werden und unterstützt zu werden. Ob sie das immer so empfunden haben, weiss ich nicht. Eines der grössten Probleme in solchen Situationen ist der Informationsfluss, der komplett eingeschränkt oder sehr verzerrt sein kann.

Libysche wie Schweizer Behörden und Regierungen haben nach Ihrem Verständnis auf die Einhaltung der Rechte ihres Volkes gepocht. Dabei mag immer viel Kalkül, manchmal Naivität, in jedem Fall aber zu wenig (diplomatisches) Knowhow vorhanden gewesen sein: Wie reagieren, wenn es in einem Spiel keinen Schiedsrichter gibt und die andere Seite ein sehr differentes Regelverständnis zeigt? Wenn das Völkerrecht nicht ein naives Märchenbuch sein soll oder der Traum pazifistischer Phantasten, dann spielt es sehr wohl eine Rolle, wie wir alle auf solche Vorfälle reagieren:
Keine Schweizer oder andere Staatsangehörige im Ausland sollen für irgend eine Staatsraison in ihren Freiheiten beschränkt werden.
Ist dies doch der Fall, sollen sie darauf bauen können, dass sich ihre Heimat für sie einsetzt. Dieser Einsatz geht nicht so weit, dass für einzelne Schicksale die internationalen Prinzipien des Rechtsstaates oder die Souveränität des eigenen Landes aufgegeben werden können, aber er bedeutet, dass man andere Länder konkret um Unterstützung ersuchen und daran erinnern kann, dass hier Werte zu verteidigen sind, welche unser aller Basis für ein friedliches Zusammenleben bilden.
Man mag anmerken, dass wahrscheinlich Geschäftsleute eher eine Lobby haben mögen als einfache Bürger – und an festgesetzte Menschen denken, die mit viel weniger Presse rechnen können: Nun, es ist an uns allen, dafür zu sorgen, dass niemand vergessen geht, von dem wir selbst wissen.

Für den heutigen Tag haben sich ein paar Blogger vorgenommen,
mit einem Beitrag wie diesem auf das Schicksal der beiden Schweizer in Lybien aufmerksam zu machen, und an alle Beteiligten für eine schnelle Lösung zu appellieren.

Ich erinnere hierzu abschliessend an weiche, scheinbar nicht so leicht messbare Faktoren:
Die Schicksale Einzelner in einem Konflikt, den sie selbst nicht ausgelöst haben oder an dem sie nicht beteiligt sind, als Pfand für diesen Konflikt einzusetzen, ist nie eine gute Strategie. Sie hat langzeitliche Folgen, die sich ganz bestimmt gegen das Land richten, das sich dieser Menschen bedient. Es werden Freundschaften zwischen Landsleuten aufs Spiel gesetzt. In wenigen Wochen kann zerbrechen, was über viele Jahre aufgebaut wurde. Menschen, die praktisch als Geiseln instrumentalisiert werden, sind auch immer ein Fanal, das sich gegen das Land richtet, in dem sie festgehalten werden. Der scheinbare Trumpf ist im Langzeitgedächtnis eine schwere Hypothek – und sie wird nicht nur in der Schweiz begründet. Deren Strahlwirkung macht an keiner Landesgrenze halt. Es ist daher zu hoffen, dass die Schweizer schnell in die Schweiz zurück kehren können. So schnell, dass es möglich bleibt, den angerichteten Schaden in den Beziehungen zu beheben. Wenn die Menschen guten Willens sind, ist das nie ausgeschlossen. Sind sie es nicht, so können wir allerdings im Ausland nicht erwarten, dass für unser Einzelschicksal sich irgend ein Staat auf den Kopf stellt. Für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte aber schon. Und daher schreiben wir in die Blogwelt hinaus:

Wir denken an Euch. Und laden alle ein, Ihrerseits auf Schicksale aufmerksam zu machen, die eine ähnliche Geschichte haben. Niemand soll vergessen gehen. Niemals.


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Hinweis vom 19.11.09, 08h33:
Ich verweise auf den 1. Kommentar unten von André mit Präzisierungen zur Anwendung des Völkerrechts (und der Menschenrechte) und bitte die Leser, diese Anmerkungen zu beachten.


Zum gleichen Thema in diesen Minuten erschienen:
Die Augenreiberei: 487 Tage
Bruder Bernhard: Die Katzen des Muammar al-Gaddafi
Die Kreide: Vergeiseln
Zappadong: What it’s like – Gegen das Vergessen
Bobsmile: Wider des Vergessens – heute Libyen
Lupe: Zwei Schweizer Geiseln in Libyen – na und?