Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir Schweizer Europäer und unser Staat

∞  9 Mai 2010, 20:30

Über Griechenland schüttet sich die Häme aus.

Was man nun so alles lesen kann, ist auch ausserordentlich abenteuerlich:
Von Staatsangestellten, die keine Minute der Arbeitswoche wirklich im Büro verbringen, von selbständig arbeitenden Ärzten, die 1000 Euro Monatsverdienst versteuern, von regelmässigen Frühpensionierungen zwischen 40 und 50, bei denen über 90% des letzten Gehalts als Rente fortan ausbezahlt werden – was dazu bedeutet, dass während den letzten drei Jahren noch tüchtig Lohnerhöhungen bewilligt werden…

Rund 30% des griechischen Wirtschaftsvolumens soll reine Schwarzarbeit sein.

Nun kann man sich über die Griechen entsetzen. Nur, im Grunde muss man sich über die europäische Gemeinschaft empören. Denn alle diese Phänomene sind nicht neu. Es grenzt an pure Vereinigungsromantik und Phantasterei von einem friedvollen, politisch vereinten Europa, dass man Griechenland in die EU aufgenommen und dem Land den Euro bewilligt hat. Es ist gar nicht möglich, dass dieses Land je die Maastricht-Kriterien erfüllt hätte. Aber was will man den Finger auf die klaffende Wunde legen, wenn man weiss dass die eigenen Eiterbeulen, mögen sie auch kleiner sein, auch aufbrechen werden?

Im ganzen EU-Raum sind die Kriterien für eine massvolle Staatsverschuldung nach und nach aufgeweicht worden. Der Euro ist eine Gemeinschaftswährung ohne das Fundament einer politisch durchsetzbaren einheitlichen Währungspolitik in diesem Raum. Europa als Gemeinschaft ist und bleibt eine Bündelung wirtschaftlicher Interessen, und es wird interessant sein, zu verfolgen, was nun geschieht, jetzt, wo dieses wirtschaftliche Modell sich aufzulösen droht.

Die Griechen haben derweil eine unmögliche Aufgabe vor sich: Wer als Grieche geboren und aufgewachsen ist, musste auch als Grieche überleben. Das bedeutet nichts anderes, als dass man Teil des Systems geworden ist. Längst. Es dürfte keinen Griechen geben, der nicht schon schwarz gearbeitet, Schwarzarbeit bezahlt oder Steuern “gespart” hat – und Bestechungsgelder bezahlt hat, um unmögliche Fristen etc. in der Bürokratie und Privatwirtschaft abzukürzen.

Ein solches System plötzlich trocken zu legen und – April, April – plötzlich legal und ohne Schattenwurf weiter laufen zu lassen – das kann gar nicht funktionieren. Es ist folgerichtig, dass Streik die einzige Reaktion darauf ist. Wenn eine Wette nicht aufgeht, sind die Menschen, welche wenig hatten und entsprechend viel verlieren können, die am meisten gebeutelten. Sie werden auch am Schnellsten zur Kasse gebeten, denn sie kann man ungestraft über einen Leisten scheren.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir noch eine Bemerkung zur Schweiz, ohne schadenfrohen Seitenhieb: Wir haben uns nun Jahrzehntelang angehört, wir wären unsolidarische Rosinenpicker und würden uns dem europäischen Gedanken verschliessen. Im Gegensatz zu Grossbritannien und anderen europäischen Staaten mit eigener Währung ist meines Wissens in der Schweiz längst klar, dass man sich an den Kreditpaketen für Griechenland beteiligen wird. Die Schweiz ist mit Europa vielfältig verflochten – und sie leistet in der jeweiligen Dualität auch die Erfüllung dessen, was an Eigenleistungen erwartet wird. In bilateralen Verträgen hat die Schweiz wie kaum ein anderes Land basisdemokratisch bewiesen, dass man den europäischen Gedanken durchaus mitträgt.

Das Gefühl der Eigenindentität aber war – angesichts einer vobildlichen eigenen Wirtschaftsleistung, einer ausgereiften direkten Demokratie, einer funktionierenden, verhältnismässig knappen Bürokratie so stark, dass man der blutleeren bürokratischen Konstruktion eines vereinigten Europas misstraut hat. Wie es aussieht, zu recht.

Dem europäischen Wirtschaftsraum in den 90er Jahren nicht beizutreten, war meiner Meinung nach ein Fehler. Darin heute Rosinenpickerei zu sehen, ist aber grundfalsch. Die Schweiz leistet längst Beiträge vielfältigster Art und wirkt solidairsch stärkend und mit Eigenverantwortung im Verbund europäischer Staaten.

Der Schweizer Bürger nimmt seinen Staat im übrigen ganz offensichtlich anders, grundlegend anders wahr, als die Mehrzahl der euoropäischen Bürger in anderen Staaten ihre “Obrigkeit”. Und wir wollen uns diesen Staat, der sich als Diener seiner Bürger versteht, erhalten.
Entsprechend lege ich grossen Wert darauf, dass auch der Ton auf den Ämtern der bleibt, der er meist ist, und für den ich mich einmal ausdrücklich bedanken möchte:

Meist höflich, zuvorkommend, und bemüht, das bestehende Problem zu lösen.
Ausnahmen gibt es. Womöglich auch hier viel mehr als früher. Aber ist das in der Privatwirtschaft anders?

Wir tun gut daran, das, was wir in unserem Staatsgebilde und in den bestehenden Strukturen haben, hoch zu achten, zu verdanken – und gleichzeitig dafür zu schauen, dass das so bleibt. Vor und hinter den Schaltern. Wie man so sieht, lohnt sich das ganz offensichtlich sehr. Es ist ein Teil, ein wesentlicher Teil unserer Lebensqualität.