Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir konsumbegüterten Liberalisten

∞  20 Februar 2008, 13:49

Der Misanthrop hat meinen Artikel Aber der Glauben zum Anlass zu eigenen Gedanken über

Dekadenz – Über Konsumgläubigkeit [und darüber, dass es diese nicht gibt]

gemacht.

Es ist nun allerdings nicht die (politisch motivierte) Geisselung des Konsums durch die Linken, die mir Sorgen macht, sondern die zunehmende Selbstidentifikation, die wir Alle aus dem Konsum ziehen. Dabei verändert sich nicht mal so sehr der Mechanismus, der wohl schon immer galt: Ich leiste mir „was Schönes“, damit „es mir gut geht“. Das Problem ist vielmehr der immer grössere Stellenwert des Konsums, die Sinnentleerung, die damit einher geht, und die uns nicht zuletzt die eigene Jugend vorzeigt.

Denn diese ist unser Spiegelbild, weil sie immer das imitiert, was sie mit Erwachsensein gleichsetzt, auch wenn sie das selbst „Coolness“ nennen mag. Noch nie hat Konsum in der jungen Generation so stark die Zugehörigkeit zu und die Akzeptanz in einer Gruppe definiert und dabei so grossen finanziellen Druck erzeugt. Und noch nie haben Eltern so hilflos auf die Markengläubigkeit ihrer Kinder reagiert.

Konsum an sich ist weder schlecht noch gut, das mag sein. Es geht darum, unseren Umgang damit zu beurteilen. Und sich zu fragen, wie abgesichert wir uns in einer Welt fühlen können, in der (ja wieviel wohl wirklich) ein extrem hoher Prozentanteil der verkauften Güter auf künstlich suggerierten Bedürfnissen beruhen.

Wir haben hier ein System zu einer Dynamik frisiert, die uns zu dessen Gefangenen werden lässt.
Und zum Abschluss lese ich bei Benjamin B.:


In einer liberalen Gesellschaft verhält es sich nun so, dass Personen frei handeln dürfen, so lange sie nicht allzu direkt die Freiheit, resp. körperliche und geistige Unversehrtheit von anderen beeinträchtigen. Deshalb sind Steinigungen hier verboten. Konsum jedoch nicht. [Religion auch nicht, aber hier müsste man noch die Frage klären, ob ihre Nutzen oder ihre Kosten grösser sind.]



Darauf antworte ich:
Wenn man sich schon dazu befähigt sieht, Religion in eine Kosten-Nutzenrechnung für die Gesellschaft zu bringen, dann rege ich an, das Gleiche vielleicht doch auch noch für den Konsum durchzuspielen: Es steht nämlich keineswegs fest, dass der grössere Konsum anderer Mitglieder der Gesellschaft meine körperliche und geistige Freiheit nicht beeinträchtigt. Die Beschaffung und Entsorgung dieser Güter verursacht z.B. durchaus gesellschaftsrelevante Kosten, die z.B. in einer Schädigung der Umwelt gipfeln können, die uns noch sehr teuer zu stehen kommen könnte. Und daran ändert sich vielleicht gerade deswegen so wenig, weil konsumorientierte Menschen weniger in alternative Entwicklungen zu investieren bereit sind als konsumkritische Mitglieder dieser sogenannt liberalen Gesellschaft, die je länger je mehr von einer Freiheit spricht und diese reklamiert, in der die Eigenverantwortlichkeit nur mehr den eigenen Leistungswillen meint, nicht aber dessen Wirkungen auf die Gemeinschaft.
Die Krux ist eben, dass die überzeugten Miglieder einer “absolut” liberalen Gesellschaft den Begriff Eigenverantwortung nicht zu Ende denken: Sie sehen ihren Beitrag geleistet, indem sie glauben, niemandem zur Last zu fallen – und sind genau darin Utopisten: Die Eigenverantwortlichkeit jedes Einzelnen schliesst die Frage nach den Wirkungen seines Handelns für Alle ein und erledigt sich nicht mit der reklamierten Enthaltung jeder Einmischung des Gemeinwesens in die persönlichen Angelegenheiten. Der Konsumgüterindustrie allerdings wäre das bestimmt recht so.



Jaah, ich weiss, nicht unbedingt die typische Auswahl zum Thema, aber ganz so bierernst wollte ich den Artikel auch nicht abschliessen…
Fundstück: jawa-club.at, Panoramaring, Walter Braun