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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir in "unseren" Trikots

∞  30 Juni 2012, 13:33

Wir Alle leben immer ausgeprägter in ethnisch gemischten Gesellschaften: Multi-Kulti ist ein Schlagwort geworden, das die Farbigkeit und die Vielfältigkeit verschiedener kultureller Identitäten, die zu einem Zusammenleben finden, positiv umschreiben soll.

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Wir, die “Einheimischen”, die wir unsere Wurzeln auch tatsächlich in unserem Lebensraum haben, sind uns dabei wohl die meiste Zeit gar nicht bewusst, wie verwirrend tief der innere mentale Widerstreit bei Menschen gehen kann, die aus fremder Umgebung zugewandert sind.

Selbst Freunde können überrascht sein, wenn bestens integriert scheinende Menschen, die vielleicht gar schon hier geboren wurden, vom Gefühl erzählen, fremd zu sein; von der Erfahrung, sich anders beweisen zu müssen als die Kameraden, von Abneigung vielleicht gar, in Einzelfällen oder immer wieder. Sie sind genauso von deutschen oder schweizerischen Gesellschaftswerten überzeugt wie wir, kennen aber nicht nur andere Gewichtungen, sie fühlen sie auch und bekommen kulturelle Diversitäten vorgelebt, die es ihnen viel schwerer machen, zu wissen, wo sie hin gehören. Da sie diese Frage gar nicht eindeutig beantworten können und ganz sicher kein Frieden mit den eigenen Wurzeln gemacht werden kann, wenn man den einen, scheinbar schwächeren Teil negiert, bleibt man Zeit seines Lebens das Kind und der Mensch einer besonderen Herkunft.

Wir tun gut daran, uns das immer wieder zu vergegenwärtigen und diese unsere Bekannten und Freunde als Türöffner für die eigene Horizonterweiterung zu sehen. Diese Menschen sind im übrigen sehr oft sehr viel entschiedener darin, uns wichtige Werte in den Vordergrund zu stellen – um dann um so verwirrter zu sein, wenn sie bei einem Urlaub im Land ihrer Eltern feststellen, wie sie Dinge stören, welche für ihre Eltern Heimat bedeuten. Diesen Widerstreit aufzulösen ist gar nicht möglich, der Umgang damit bleibt ein persönlicher Weg, und ein Geheimrezept für die richtige Deutung der eigenen Identität gibt es nicht.

Wie komplex der gesellschaftliche Umgang miteinander noch immer werden kann, zeigt sich im Nationalsport Fussball überdeutlich. Die Spieler Shaqiri, Xhaka, Derdiyok, Senderos, Djourou, Behrami in der Schweizer Nationalmannschaft, oder die Herren Gomez, Klose, Podolski, Özil, Baoteng, Khedira mit dem deutschen Adler auf der Brust – befriedigen den Hang der Fans, sich ihrem Land zugehörig zu fühlen und einen Nationalstolz zu bedienen, den zu empfinden gar nicht falsch sein muss – wir alle schöpfen auch Kraft aus unserer Identität – ohne dass das kriegerische Auswüchse annehmen soll. Man kann sogar die Phänomene rund um Fussballspiele entspannt beobachten, denn die Aufregung legt sich allenthalben schnell wieder, wenn Enttäuschung oder überbordende Begeisterung sich mit dem nächsten Alltag vor der Brust wieder abkühlen.

Über ein paar Dinge kann man dann aber schon noch ein Weilchen nachdenken, und angesichts der inneren Spannungen, die ich oben beschreibe, ist das auch im Sinne z.B. der Secondos unter uns:
Wenn sich der ARD-Tagesthemen-Moderator Zamperoni, der die Nachrichten in der Halbzeit von Deutschland – Italien las (beim Stand von 0:2), zum Schluss “erlaubt”, die Zuschauer mit einem Lächeln und einem auf Italienisch und Deutsch zitierten Dante-Wort (“möge der Bessere gewinnen”) in die zweite Halbzeit zu entlassen, dann kocht offensichtlich die Volksseele, so wütende Reaktionen hat das ausgelöst [Link am Ende des Artikels]. Mal abgesehen davon, dass Fussball wie jeder Sport nur dann glaubwürdig bleibt, wenn der entsprechende Wettkampf tatsächlich darauf ausgelegt ist, dass der Bessere gewinnt, mutet es schon sehr absurd an, wenn sich Deutsche empören, wenn man diese Maxime ausspricht, bevor Männer türkischen, polnischen, spanischen Ursprungs im deutschen Dress versuchen, gegen ein anderes “Land” ein Spiel zu gewinnen.

Wahrscheinlich braucht es genau solch absurde Phänomene, damit wir noch etwas mehr ins Nachdenken kommen über den Wert unserer gemischten Gesellschaft. Das Thema wird uns wohl noch ein paar Generationen beschäftigen, ja wahrscheinlich erfindet es sich immer wieder neu, weil wir irgendwie mit der Schublade der Nationalität und das entsprechende Etikett eine Art Eigentumsanspruch auf unser Daheim reklamieren mögen.

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Link: tagesspiegel.de – Was erlauben Zamperoni?
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