Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir Autofahrer

∞  29 August 2014, 23:20

Des zivilisierten Menschen heiligste Kuh ist die Mobilität, und zu dessen Ausübung braucht er das Auto – und die Fahrerlaubnis, sprich, den Führerausweis. Kommt der abhanden oder droht ihm das, tritt die mangelnde Objektivität absurd deutlich zu Tage.

Bevor ich weiter schreibe füge ich dies ein:

Ich nehme mich von der hier geäusserten Einschätzung nicht aus, will sagen, dass mir selbst der Verlust der Fahrerlaubnis im Alter enorm zu schaffen machen dürfte…

Tatsache ist: Ich kenne keinen, der von sich aus sagt, er wäre ein schlechter Autofahrer.
Ich kenne aber auch keinen, der einem anderen, der damit prahlt, dass er seit zwanzig Jahren unfallfrei fährt, nicht unterstellen würde, dass er dafür auch mal die Weitsicht anderer Verkehrsteilnehmer in Anspruch genommen haben wird.

Wenn es ums Autofahren geht, werden wir zu Egomanen. Sitzen wir in unseren Blechkisten, sind alle anderen Idioten. Vielleicht braucht es diese Art Selbstverständnis, um sich durch die kniffligsten Verkehrssituationen hindurch zu schlängeln – ganz sicher scheinen wir es zu brauchen, um dreissig Sekunden früher anzukommen, weil wir uns einen Vorteil, der uns ja doch eigentlich auch tatsächlich zusteht, auch genommen haben. Wir kaufen Kisten mit viel Blech um uns herum und nennen das passive Sicherheit. Mit der Wucht, mit der wir damit Fussgänger treffen könnten, beschäftigen wir uns nicht. Das geschieht einfach nicht. Wir wollen von A nach B, und zwar spontan, jederzeit, bequem und schnell.

Wir sind für harte Strafen bei allen möglichen Straftaten, aber Verkehrsdelikte sind Bagatellen, Fahrausweisentzüge viel zu hart und die Promillegrenze ist eine Schikane für die Restaurants. Wir sind wie alle anderen Autofahrer medizinische Wunder, weil wir entweder problemlos Alkohol trinken können, ohne Promille anzuhäufen, oder aber wir gehören zu jenen erstaunlichen Phänomenen, die auch mit 1,0 Promille noch absolut identische Reaktionswerte haben wie nüchterne Zeitgenossen.

Auch Richter sind Autofahrer, weshalb viele Jahre lang Lebensgefährdung durch Gefährdung im Verkehr zum Teil absurd geringe Strafen auslöste. Heute verschiebt sich das manchmal ins Gegenteil, ich weiss. Aber an dieser Stelle darf schon mal geschmunzelt werden über die Subjektivität, mit der wir uns sehen, wenn wir ein Steuerrad in der Hand haben.

Nicht nur die Gerichtsverhandlungen waren manchmal ein Witz, die Attest-Verfahren für ältere Lenker waren es auch – je nach Kanton sogar noch etwas absurder. Mit der Einführung schärferer Regeln für Neulenker ist es auch nicht mehr so leicht für Betagte, ihre Fahrerlaubnis zu behalten. Die Vernunft ist aber auch nicht vom Alter abhängig, und ich kenne bisher auch keinen Autofahrer, der von jener Weisheit geküsst wurde, die ihn wünschen lässt, die Abklärungen wären seriös und würden ihm aufzeigen, ob sein subjektiver Eindruck, dem Verkehr noch gewachsen zu sein, objektiv bestätigt wird. Nein. Das Attest ist einfach nur eine lästige Pflicht, und der Arzt, der sich allenfalls erdreistet, Bedenken zu äussern, unfähig.

Gewisse Dinge wollen wir einfach nicht hören. Zu erleben, allerdings, wie man aus Überforderung ein Menschenleben gefährdet, oder, noch schlimmer, auslöscht, das ist dann wirklich eine Katastrophe. Respekt vor dieser Gefahr aber haben wir kaum. Würden wir diesen Respekt zeigen, wären wir ganz sicher defensivere Autofahrer, tatsächlich vielleicht gar nicht bessere. Ganz sicher aber wären es viele von uns weniger lange. Und doch lange genug.