Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Will ich Demokratie, will ich Datenschutz

∞  8 August 2013, 22:38

Beantworten wir uns die Frage, wie viel Datenschutz wir wollen, und wir offenbaren damit, wie wichtig uns die Demokratie und damit unsere Selbstbestimmung wirklich ist.

Die Einsichten in unsere Privatsphäre sind nicht den Steuerbehörden vorbehalten, und auch nicht den Geheimdiensten, den Kreditkartenfirmen oder den Sicherheitsbehörden. Es gibt laufend Eingriffe in den Datenschutz, und er wird systematisch ausgehöhlt, indem überall Fakten geschaffen werden, längst bevor überhaupt über ein Gesetz diskutiert wird. Das Internet, einst die Heilsversprechung einer offenen und freien demokraitschen Gesellschaft, ist womöglich der bestkontrollierte Raum, in dem wir uns überhaupt bewegen. Die wirklich entscheidende Frage, die sich dabei uns allen stellen muss, ist diese:

Sind wir bereit, auch nur eines unserer demokratischen Grundrechte (und zu denen gehört die freie nicht sanktionierte und nicht fichierte Meinungsäusserung) für das allseits ins Zentrum gerückte Gut der “Sicherheit” aufzugeben (oder auch nur einzuschränken)? Ich glaube, die Antwort ist ja. Wir leben nicht in der Angst vor Fremdbestimmung – wir haben den schleichenden Zugriff auf unseren persönlichen Lebensraum längst hingenommen – wir durchschauen die technischen Voraussetzungen gar nicht, um uns zu wehren und können nur erahnen, welche entsprechenden Möglichkeiten es gibt, uns zu beobachten. Der Kampf dagegen ist einer gegen Windmühlen, und, unter dem Strich, haben wir noch ein ganz anderes Problem: Wir haben tatsächlich ein äusserst diffus übersteigertes Bedürfnis nach Sicherheit und eine reflexartige Angst davor, körperlich bedroht zu werden.

Unsere Generationen kennen keine Kriege mehr, was äusserst erfreulich ist. Wir sind aber daher auch nur die Verwalter eines wie fremden Vermögens, denn wir haben gar keine richtige Vorstellung davon, wie es ist, in einem undemokratischen Staat zu leben. Wir verwalten mit der Demokratie ein Gut, das wir nicht selbst verdient, erkämpft haben, und vielleicht ist deshalb die Angst vor dem Verlust einer Konsumfreude so viel lebendiger als die Beteiligung an politischen Prozessen. Ich habe gelesen, dass ein zweistelliger Prozentsatz der Eltern ihre fünfjährigen Kinder nicht draussen spielen lässt, weil das zu gefährlich sei. Vor Schulen parken Elternfahrzeuge in Zweierkolonne: Der Schulweg, einst für uns Kinder die Brutstätte aller interessanten und anregenden Ereignisse eines Buben- oder Mädchentages, ist eine verloren gehende Erfahrung, eine untergehende Welt.

Es ist sehr viel leichter, unsere Bewegungen im Netz zu verfolgen und unsere virtuellen Footprints digitalisiert auszuwerten, als uns in der Dorfbeiz zu beschnüffeln. Das war zwar auch nicht schön, weiss Gott, aber aktuell begeben wir uns in eine Welt, in der das grosse Erwachen dann erfolgt, wenn das oben benutzte Wort der Sicherheitsbehörde wieder jenen Klang bekommt, den einige, es sind ja eigentlich gar nicht so wenige, noch zur Genüge im Ohr haben. Das wollen wir alle im Grunde nicht. Da ist dann guter Rat teuer.
Was aber tun gegen das Unvermeidliche?

Ich meine: Im Kleinen anfangen, der Politik konkrete Aufträge geben. Der Legislative, nicht der Exekutive zuerst. Und vor allem eines: Das Argument der Sicherheit bei uns selbst als das erkennen, was es dem Staat ist: Die gleiche Möglichkeit der Angstmache, wie sie die Wirtschaft benutzt, wenn sie dem Bürger bei dessen “Fehlverhalten” die drohende Aussicht auf mehr Arbeitslose an die Wand malt. Letzteres verfängt immer weniger. Ersteres sollte uns auch zu ärgern beginnen. Denn, liebe Freunde des Staates, des demokratischen Staates: Die Freiheit, die wir im Grunde wollen, die Qualität des uns möglichen Lebens, auch und gerade des Zusammenlebens, ist auch davon geprägt, dass wir in Kauf nehmen, dass das Leben tatsächlich lebensgefährlich ist.

Die Zahl der verhinderten Terroranschläge durch die Aktivitäten der NSA und ihrer Schwesterorganisationen in allen Ländern dieser Welt ist geradezu lächerlich gering. Dass die Interessenvertreter dieser Bespitzelung es dennoch eine gute Idee finden, uns diese Statistiken als Begründung für die Notwendigkeit ihres Tuns zu verkaufen, zeigt, wie sicher sie sich sind, dass uns das Gespenst der gefährdeten Sicherheit Angst einflösst. Wenn ich nicht mehr vor die Tür gehe, weil ich Angst habe, überfahren zu werden, dann sollte ich mein Auto, mein Fahrrad und schliesslich meine Schuhe verkaufen, die Heizung aufdrehen im Winter und die Klimaanlage im Sommer, auf dass alles draussen bleibe, was Leben heisst. Ich kann es mir ja im Fernsehen angucken und im Internet erzählen und vielleicht auch erklären lassen. Womöglich von jenen, die keine Angst haben, genau das zu tun, weil ihre eigene Sicherheit gegen die Abgabe dieser Art Rückgrat den Verzicht auf Freiheit bedeuten würde.

Solche Menschen mit Zivilcourage gibt es auf der ganzen Welt, und wir nenne sie Helden und machen Geld mit ihren Konterfeis auf T-Shirts etc. Aber wir haben keine Ahnung, wie manche dieser Helden unserer eigenen Geschichte wir mit unserer abgestumpften Gleichgültigkeit verraten.