Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wie weiter mit der Wissenschaft?

∞  10 März 2011, 11:46

Die deutschen Jungwissenschaftler forderten mit Vehemenz die Sanktion des Guttenbergschen Plagiats ein. Gefordert bleibt die Wissenschaft und der ganze Bildungszirkel mit seinen Institutionen und den politischen Instrumenten weiterhin. Was ist Einzelfall, was Verfall ursprünglicher Bildungstradition? Wird nur mit dem Finger auf Missetäter gezeigt, oder liegt in der Affäre auch ein Fingerzeig?


Der dichte Rauch hat sich verzogen, die Blicke sind wieder klarer, der erste Schock verdaut: Deutschlands Politstar ist zurück getreten, zu Fall gebracht nicht zuletzt von jener Gilde, die er mit seinem dreisten Tun veräppelte – und mit seinem Leugnen nachträglich noch verhöhnte: Nicht nur, dass Karl Theodor zu Guttenberg plagierte, wie es dreister kaum ausgeführt werden kann – er blieb dabei, auch noch weis machen zu wollen, das wäre alles unabsichtlich erfolgt. Damit fand er Gehör überall dort, wo eh niemand wahrhaben wollte, was längst offensichtlich war; er stiess aber erst recht jene Akademiker vor den Kopf, die in einer Doktorarbeit nach wie vor einen Teil der anzustrebenden Reputation sehen und die spätestens in der verharmlosenden Erklärung der Bundeskanzlerin vorgeführt bekamen, was tatsächlich drohte: Die Bagatellisierung jedes unviversitären Ethos in der Ausbildung zum Wissenschaftler.

Es ist in den letzten Tagen oft diskutiert worden, ob der Wissenschaftsstandort Deutschland Schaden genommen habe in dieser Affäre. Und es wurde argumentiert, dass dieser Schaden eben gerade durch den sich in die Politik einmischenden Protest aus der Wissenschaft abgewendet worden sei. Meiner Meinung nach ist die Sache für die Wissenschaft, nicht nur in Deutschland, noch nicht ausgestanden. Es muss abgewartet werden, wie die Affäre abseits der grellsten Scheinwerfer weiter bewältigt wird und welche Rückschlüsse daraus gezogen werden. Nicht nur auf die Uni Bayreuth ist ein schiefes Licht bezüglich der Praxis gefallen, wie Doktorarbeiten begleitet und beurteilt werden. Tatsache ist, dass der überwiegende Teil der Doktorarbeiten eine wohlwollend gute bis sehr gute Beurteilung erfährt, und die Anzahl am Ende abgelehnter Arbeiten sich im Promillebereich bewegt. Das hat zwar mit der speziellen Situation zu tun, dass der Doktorvater als Begleiter des Doktoranden bei einem Misserfolg sich immer auch Fragen stellen lassen muss – er aber umgekehrt alles Interesse daran hat, möglichst viele Doktoranden unter seinen Fittichen zu haben, weil die Politik die der Fakultät und dem Professor zustehenden Forschungsgelder nach der Zahl der Doktoranden berechnet. Den Rest kann man sich zusammen kombinieren.

Befremdend stimmt auch, dass bis zuletzt von führenden Forschungsgremien und –gesellschaften wie z.B. dem Max Planck – Institut keine Erklärung zu den Ereignissen vorlag, schon gar nicht eine, die klar Stellung bezogen hätte. Es brauchte vielmehr den geradezu wütenden Einsatz unzähliger Doktoranden im Internet, um auch die Politik schlussendlich nachhaltig aufzuschrecken, allen voran die eigene Bildungsministerin Schavan, die schliesslich per Interview mit der Süddeutschen Zeitung das Fremdschämen übernahm – ganz bestimmt in Absprache und auf Anweisung ihrer Kanzlerin. Den Jungakademikern Sukkurs leisteten nur vereinzelte Professoren. In der Person des Professors Lepsius, des heutigen Vorstehers der juristischen Fakultät in Bayreuth fand sich allerdings ein mittelbar sehr direkt betroffener Vertreter, der mit seinem entschiedenen Statement eine Verleumdungsklage („Lügner, Betrüger“) scheinbar herausforderte, wohl wissend, dass er sie nicht wirklich riskierte.

Auf dieser Grundlage wurde auch der Allgemeinheit klar, dass die Schönfärberei des bewussten Täuschens an jedem gesunden Menschenverstand abblättern musste, hatte man ihn denn nicht per Click bei Facebook abgegeben. Und nun also ermittelt der Staatsanwalt. Und von der Bayreuther Prüfungskommission steht der Entscheid noch aus, ob man im vorliegenden Plagiat nun doch objektiv schon einen Vorsatz zur Täuschung erkennen könne. Klar ist: Für die Universität wie für den Schein-Doktoranden ist die Geschichte längst nicht ausgestanden. Prüfling und Prüfer sind gleichermassen bloss gestellt. Mit wie viel Interesse sie welche Form der Aufarbeitung annehmen wollen oder müssen, wird weiter zu beobachten sein.

Mit jedem Tag, der vergeht, mag die Aufmerksamkeit ein bisschen schwinden. Der Vorgang wird dadurch nicht weniger peinlich. Im Gegenteil. Mit dem Finger zeigen muss dennoch niemand: Zahlreich sind die Reaktionen, die auf lasche Handhabungen zur Verleihung der Doktorwürden nicht nur in Deutschland hinweisen, und wenn der Forschungsstand als Ganzes seine Reputation erneuern will, dann wird es dafür Anstrengungen der Institutionen brauchen – und der Politik. Und Deutschland wird eine Ministerin für Forschung und Bildung brauchen, der ein Satz, es spiele keine Rolle, „ob und wie jemand promoviert habe“ gar nicht in den Sinn kommen könnte.

Oder aber, Freunde, wir reduzieren dieses ganze Brimboriumsdoktorgetue und stellen dem Universitätsbetrieb ein paar Fragen zur allgemeinen Diskussion:

Wie kann erreicht werden, dass Lehrstühle und deren Professoren wieder ein besseres Gleichgewicht finden zwischen Lehre und Forschung? So mancher Professor ist in seinen Vorlesungen eher Vorleser denn Didakt und es scheint so, als wäre ihm die Basisaufgabe des Unterrichtens und Lehrens mehr Last als Beruf – oder gar Berufung. Welche objektiven und subjektiven Massstäbe für die Ausrichtung von Forschungsgeldern sollte die Politik für Universitätsinstitute festlegen? Ist ein Arzt an einem Universitätsspital, der seine Berufung mehr in der praktische Arbeit mit Patienten sieht, denn in Vorträgen auf Fachkongressen, ein schlechterer Doktor und am falschen Ort, weil er den Glanz der Universität nicht so brilliant in die Fachwelt hinaus trägt? Wie wirkt sich der Dünkel des wissenschaftlichen Anstrichs jedes Fachbildungsvortrags für die Bevölkerung aus? Wie also schafft es der Forschungsbetrieb und sein Ministerium, Wissenschaft als Bildungsgeschäft im Bewusstsein der Bevölkerung wieder besser zu verankern?