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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wie darf ich sterben? Oder wie soll ich sterben?

∞  22 November 2012, 23:24

Die Sendung lief schon am Montag, und ich habe sie mir erst nachträglich im Internet angesehen:

Hart aber Fair am Montag zum Thema: Mut zur Menschlichkeit oder Mord – darf ein Arzt beim Sterben helfen?.

istockphoto.com/koun

Beschäftigt haben mich dann in der Folge nicht wirklich die Positionen der Ärzte, obwohl die tatsächlich eine eigene Sendung wert wären, sondern die Statements des Kirchenvertreters am Tisch – des Kapuzinermönchs Bruder Paulus. Sie haben mich aufgewühlt, denn sie zeugten von einem meiner Meinung nach abwegigen Grundverständnis der Situation jedes Sterbenden – und gipfelten in einer schweren Kränkung eines Mannes, der seine Frau mit Hilfe von Exit “in den Tod gehen liess”.

Seine Grundbotschaft war: Einem Sterbenden, der Sterbehilfe in Betracht zieht, fehlt es nur an mitmenschlicher Hinwendung der Angehörigen oder von Betreuern: Wer genügend Zuspruch erfährt, will nicht aus dem Leben scheiden. Das lässt ihn in der Schlussfolgerung dann zu einem Mann sagen, der zuvor sehr anschaulich die gemeinschaftliche Verbundenheit mit seiner Frau schilderte, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte:

Sie waren es offensichtlich nicht wert, dass Ihre Frau sich Ihnen anvertraut hat.

Was für eine Kränkung und Anmassung! Und doch “passt” sie zur Abwehrhaltung so vieler Menschen, die den Wunsch von Menschen nach Sterbehilfe mit geradezu militanter Schärfe verdammen: Sie wissen, dass der Entscheid, wie und wann einem Leben genügend Leid widerfahren ist, nur beim Betroffenen selbst liegen kann, massen sich dennoch und in jedem Fall ein Urteil über ihn an – und setzen der Bitterkeit die Anteilnahme entgegen, die jene ja mindestens schulden, die keinen Verlust erleiden wollen.

Um es klar zu stellen: Ich habe in meiner Verwandtschaft Menschen, die der Sterbehilfeorganisation Exit beigetreten sind, und ich respektiere diese Entscheidung bzw. die Möglichkeit, dass sie irgendwann die Hilfe der Organisation in Anspruch nehmen könnten. Ich vermag aber nicht zu sagen, in welcher Form ich einen solchen Schritt begleiten könnte – zu sehr bleibt es ohne die praktische Herausforderung Theorie. Aber eines begleitet mich durch mein ganzes Leben:
Das tiefe Bewusstsein, dass wir allein auf die Welt kommen und allein von ihr gehen. Ich will in meinem Leben so viel lernen, dass ich bereit fürs Sterben werde. Das tönt vielleicht für manche Menschen abstrus, aber mir ist die Aufgabe, dass sich mein Leben erfüllt, ich das erkenne und in Frieden los lassen und erwarten kann, was kommt, der eigentliche Sinn meines Daseins. Ich habe etwas in mir, an dem ich wachsen kann und das mir der Schlüssel zur Hellsichtigkeit ist, zum Verständnis meines Wesens, meiner Seele. Dazu gehört der gewaltige Prozess des Sterbens mit dazu, und ich wünsche mir daher nicht, einen plötzlichen Tod zu sterben. Ich möchte ihn erleben und annehmen und mich darin bereit erklären können für das Ende meines Lebens. Ich vermag nicht zu sagen, was ich an Leid dafür “brauche” noch aushalten mag, ich weiss aber, dass ich auf keine anderen Stimmen hören werde, hören muss, als auf meine eigene.

Was ich in jenem Moment bin, wurde ich auch durch die Mithilfe meiner liebsten Menschen – und dennoch werde ich dann allein sein – und sie auch. Es ist das Wesen unseres Lebens, dass wir am Ende leer werden von allen Anhaftungen an Weltliches, und dazu gehört auch der Prozess des Loslassens seiner Mitmenschen. Dies gelingt in jedem Sterbeprozess den Sterbenden leichter und schneller als den Begleitenden. Ich schliesse daraus, dass ich als Angehöriger oder Liebender keine schwerere aber auch keine wichtigere Pflicht habe, um nun auch ein wenig Moralin zu verwenden, als diese Aufgabe zu leisten: Zu sagen, zu glauben und zu fühlen: Du darfst gehen.

Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie ein Sterben zu vollziehen oder zu begleiten haben, ist schon anmassend genug. Für die Wahl, wie sie es tun wollen und welches Leid sie ertragen können oder nicht – ist erst recht eine ganz persönliche Entscheidung. Trotz meiner obigen, in dieser Frage für viele extremen persönlichen Deutung, Interpretation und Vorstellung, oder gerade deswegen, ist es für mich völlig abwegig, irgend einer anderen Person Vorhaltungen zu machen, wie sie diese höchst persönliche Entscheidung für sich selbst treffen soll.

Sie sollte nur eines: Persönlich sein, nicht aufgezwungen noch herbei geredet. Aber dafür gibt es wenig Sorge. Menschen wie Bruder Paulus tun bei dieser Frage so, als stürbe es sich leichthin – und ich behaupte, dass sie das wider besseres Wissen tun:

Ein Suizid mag ja manchmal eine Kurzschlusshandlung sein, ein Verlangen nach Sterbehilfe aber ist in jedem Fall von einem jahrelangen Prozess begleitet, in den alle Begleitenden, so sie denn eingeweiht werden, in sehr fordernder Weise eingebunden sind. Dann Sätze raus zu lassen wie:

Sie könnten denen genauso gut eine Rasierklinge geben und ihnen die Adern aufschneiden. Oder Sie könnten ihnen einen Elektroschock verpassen. Es muss aber jetzt der schöne Tod sein, den der Arzt bringt. […] Sie suchen jetzt den Arzt wie einen neuen Priester auf. Der muss jetzt kommen, und jetzt kommt der Halbgott in weiß und bringt den tödlichen Trunk. Und damit muss es ja wohl in Ordnung sein. Toll!

Bruder Paulus sieht gar nicht hin – weil nicht sein kann was nicht sein darf. Seine Angriffe auf Betroffene aber sind eine einzige Entgleisung und ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich abseits der kirchlichen Dogmen, von denen sich längst nicht alle biblisch begründen lassen, ihren persönlichen Weg suchen, verantwortungsvoll mit dieser Frage umzugehen.

Ich finde ja, dass Fremdschämen an sich ein Akt der Überheblichkeit ist. Wenn auch nicht katholisch, so bin ich doch als Christ in höchstem Mass brüskiert über die hier demonstrierte Haltung, und ich wünsche mir Männer wie diesen Herrn weit weg von meinem Sterbebett, auch wenn ich tatsächlich einen Web beschreiten können sollte, den er gar nicht abzulehnen braucht.

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Hoch interessante Blogbeiträge zum Thema bei radwechsel.net:
Offener Brief an Bruder Paulus: Sie machen mir Angst!
und
Bruder Paulus auf meinen offenen Brief zum Thema Sterbehilfe
Sowie wieder mal Claudia hier:
Zum Recht auf einen medizinisch betreuten Freitod – Hart aber fair