Wenn sich nur noch Enge ausbreitet?
Freiheit und Sicherheit. Wie viel Enge nehmen wir in uns und um uns in Kauf, um uns wieder sicher zu fühlen? Was brauchen wir dafür wirklich? Bis unser Leben im Alter ganz sicher selbst voller Unsicherheiten sein wird.
In Norwegen bombt und schiesst ein 32-jähriger Attentäter fast 100 Menschen zu Tode. Ein Land, bekannt für seine offene Gesellschaft, ist im Schockzustand – und fühlt: Wir verlieren Zutrauen in einander und diesen einmaligen Wert des Grundvertrauens in das friedliche Miteinander. Beteuerungen, sich das nicht nehmen lassen zu wollen, zusammen zu stehen als Gemeinschaft, gehen einher mit dem Bedürfnis nach Sicherheit. Ist die Bedrohung erst mal real, das Undenkbare Tat-sächlich geschehen, lässt sich der Mauerbau kaum mehr aufhalten. In Köpfen und Menschen, während die eigentlichen Betonköpfe längst unter uns sind. Denn dieser Amokläufer war und ist ein Bürger Norwegens, Mitglied einer rechtsnationalen, in Norwegen häufig gewählten Partei. “Es” ist längst denkbarer als “früher”, ob von links oder von rechts. Wir reissen die Schwellen ein, wollen Regeln gegen Ausländer, um selbst frei zu bleiben, denken in Kategorien und teilen sie ein, unsere Mitmenschen, in Gewollte und Ungewollte, in Fleissige und Faule. Wir verlangen Selbstverantwortung – aber wer verantwortet die Gesellschaft, die Gemeinschaft? Und nicht nur den Erfolg der eigenen Partei und deren Interessen?
Wir machen uns die Welt selbst immer enger. Denn schon die Angst vor der Enge führt dazu, dass die Zäune höher werden.
Auch meine Mutter beschäftigt das. Alte Menschen haben schon zu meiner Jugendzeit die Jungen bedauert für die unruhigen und struben Zeiten, in denen sie leben und ihre Zukunft gestalten müssten. Wir Jungen haben dies gar nicht verstanden. Der Vergleich mit früher war für uns ätzend, ein Stück Romantik, wir nahmen das Leben, wie wir es kannten. Und heute mache ich mir Sorgen für die nächste Generation, lange bevor ich das Alter meiner Mutter erreicht und obwohl ich selbst keine Kinder habe.
Die Ältesten – vereinsamen sie heute schneller als früher? Wie gehen sie mit dieser Nachrichtenflut um? Mam hat Schwiergikeiten. Manchmal muss sie einfach reden, erzählen, was sie gelesen, gesehen, gehört hat. Sie ist kaum offen für tröstende Worte, sie hat keinen Trost, sieht ihn nicht und glaubt, dass gerade ihr Alter dies wohl als grundlegende Erfahrung für sie bereit hält. Es ist einfach ein Abladen, dieses Erzählen, dieses Reden ins Leere, wie es mir vorkommt. Aber es ist wichtig, dass ich zuhöre, und manchmal finde ich einen Satz der Erwiderung, der doch gehört wird, und ein kleines Lächeln wispert durch den Hörer. Wie heute, als ich von der anderen Erfahrungsgrundlage der jungen Menschen erzählte. Die müssen nicht vergleichen mit einer eigenen Vergangenheit. Die haben sie erst später.
Dann muss sie auflegen, die Nachrichten beginnen gleich.
Ich bleibe ein bisschen verdutzt zurück. Auch dies ist wie das Abspielen eines Films, den ich schon kenne: Da sind unsere Alten, ob Eltern, Grosseltern oder Nachbarn, oft einsam und klagen, dass sich niemand meldet. Und wenn man dann anruft, kommt man ungelegen. Es kann auch eine Serie sein, die man nicht verpassen darf, Richter Alexander oder sonst eine Schnulze, welche die reale Welt ersetzt – und am Ende zur Wahrheit wird. Was auch immer Struktur gibt in der Langeweile, wird festgehalten. Die Enge, die man beklagt, ist die Wand, die man ertasten kann und innerhalb der man seine Orientierung behält. Oder das, was man dafür hält.
Die Gedanken werden eben genau so müde wie die Knochen. Was traurig machen könnte, ist auch ein Trost. Alle Aufregung erfüllt sich im Loslassen. Nach und nach. Deswegen wird Begleitung nicht weniger wichtig. Vielleicht kehrt auf diesem Weg ein Stück Respekt zurück für ein anderes Leben. Für die Würde aller Wesen. Zu denen wir selbst auch gehören. Früher oder später auch als schwacher Kontrapart einer Ansprechperson, deren Respekt wir uns wünschen würden.