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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wenn sich der Staat eigentlich geirrt hat

∞  15 September 2012, 17:36

Haben Sie auch Mühe, sich für einen Fehler “öffentlich”, diretk und ungeschminkt zu entschuldigen? Sie sind damit nicht allein. Es scheint ein wenig so, als wäre dies in unserem Alltag nicht mehr so richtig vorgesehen. Ich weiss nicht, wie “oft” ich es erlebt habe, dass mir in geschäftlichen Kontakten jemand eröffnet hätte:

Sorry, da ist mir ein Fehler unterlaufen.

Einfach so. Mit Punkt. Und Ende. Womöglich noch von einer Entschuldigung gefolgt.

istockphoto.com/koun

Das scheint irgendwie nicht (mehr) vorgesehen zu sein. Und so, wie wir selbst (fehl-)funktionieren, so ist es erst recht um den Staat bestellt: Er macht natürlich Fehler, aber bis dem Staat ein Fehler nachgewiesen wird, ist der Durchgang durch alle Instanzen quälend lang, und am Schluss steht selten, sehr selten ein Endergebnis, das dem Benachteiligten wirklich gerecht erscheinen kann.

Die Art und Weise, wie ein Staat mit seinen Veteranen umgeht, als mit jenen, welche für Politik und Gesellschaft in einem bewaffneten Konflikt den Kopf hingehalten haben, ist so ein Beispiel, das uns alle nachdenklich stimmen sollte – betreffend “dem” Staat, aber auch uns sind Vorbehalte angebracht. Wir ticken nicht einfach nicht richtig…

Ganz besonders schlimm ist es für jene, welche unschuldig in die Mühlen der Justiz geraten. Während ein Straftäter nach dem Vollzug seiner Strafe mancherorts auf begleitende Hilfe bei der Wiedereingliederung zählen kann – er ist ja ein potentielles Beispiel einer Resozialisierung, so ist ein unschuldig Verurteilter nach dessen Aufhebung einer Strafe und folgerichtiger Freilassung scheinbar ein Stachel im Selbstverständnis des Staates, eine Peinlichkeit, deren Tatsache erst so lange wie möglich bestritten und anschliessend so schlecht wie nur denkbar entschädigt wird. Und wir helfen alle mit, indem wir jegliche Differenzierung unterlassen und gar nicht hinhören oder -lesen, wenn jemand noch so eindeutig belegen kann, dass er rehabilitiert ist. Ausserdem dauern solche Verfahren bis zum finalen Ergebnis quälend lange – und die Entschädigung ist lächerlich gering: Ein unschuldig abgesessener Gefängnistag wird vom Staat dem Opfer in Deutschland mit 25 Euro “vergütet”. Das ist einigermassen unglaublich, nicht wahr? Rund 70’000 Gefängnistage, so die Schätzung, werden in Deutschland pro Jahr unschuldig abgesessen. Rehabilitierte erhalten vom Staat die Auslagen für Rechtsgutachten nicht zurück erstattet, weil sie dabei “zuwenig wirtschaftlich” vorgegangen wären – und ähnlich abenteuerliche Begründungen kann der Staat anführen – als Urheber der Ungerechtigkeit, nota bene. Es scheint so, dass sich der Staat (dass wir?) sich die Einsicht, Fehler begehen zu können, nicht leisten will. Weil das seine Autorität untergräbt, uns die Sicherheit raubt, in einem Umfeld der Gerechtigkeit zu leben?

Wo Menschen urteilen, machen sie Fehler. Das ist die erste aller Gesetzmässigkeiten. Würde sie berücksichtigt und beherzt zugegeben, als Möglichkeit vorgesehen, wäre dem Staat und seinem exklusiv beanspruchten Recht auf Gewaltanwendung doch viel eher zu trauen, oder? Stattdessen erleben wir es laufend, dass Menschen, welche einmal in die Mühle dieses Staates geraten, stigmatisiert bleiben: Wir sehen den Stempel auf der Stirn, aber die Geschichte dazu wollen wir nicht hören.

Oft scheint der Staat dort besonders unnachgiebig, wo der Einzelfall klein genug ist, um nicht aufzufallen. Im Ergebnsi wird mit der unnachgiebigen Handhabe des Staates bei Entschädigungen für solche Menschen ein Betrag im Umfang von wenigen Millionen pro Jahr gespart. Lächerlich genug angesichts der Summen, welche anderweitig durch die Maschen tropfen. Das alles macht das Thema noch beklemmender. Ein Albtraum für Betroffene, ein Magengrimmen für uns alle.

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Zum Thema:
Wie die deutsche Justiz ihre Opfer im Stich lässt
via mycomfor.com