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Wawrinka: Der Verkannte ist plötzlich ein Vorbild

∞  6 September 2013, 18:21

Stanislas Wawrinka ist seit Jahren einer der besten zwanzig Tennisspieler der Welt. Er musste fast dreissig Jahre alt werden, um mit diesem Leistungsausweis auch die Akzeptanz zu bekommen, die er verdient. Kaum ist er aus dem Schatten von Federer getreten, überschlagen sich die journalistischen Lobeshymnen. Aber die an sich so schöne und verdiente Respektbezeugung bleibt auch peinlich, weil sie so spät erfolgt.

Mit dem an sich sehr guten Text von Simon Graf im Tagesanzeiger verhält es sich ähnlich – es reicht dafür schon, sich den Titel zu Gemüte zu führen:

Was wir von Wawrinka lernen können

Der Romand hat viele Anläufe gebraucht, um erstmals ein Achtelfinale an einem Grandslam-Turnier zu gewinnen, und es dauerte nochmals lange, bis er dann auch in einem Viertelfinale gewann. Nun ist es so weit. Bisher haben wir in dem Spieler das Sinnbild eines mental nicht restlos gefestigten Athleten gesehen, der im entscheidenden Moment psychisch nicht standhielt. Er blieb für uns ein Verlierer, einer, der mit einer Niederlage von einem Turnier abreiste. Und Wawrinka ist so was wie der schweizerische Ferrer, die sehr gute Nummer zwei eines Tennislandes, im Gegensatz zu Spanien allerdings ist er für uns auch objektiv ein Juwel, weil dahinter absehbar nichts nachkommt.

Nun hören wir hin, weil wir plötzlich wissen wollen, wie “Stan The Man” sich so entwickeln konnte, gewissermassen gegen unser Vorurteil, und wir haben allen Grund, das, was er zu sagen hat, sacken zu lassen:

Und bald einmal liess er sich ein Zitat von Samuel Beckett auf den linken Unterarm tätowieren, das zu seinem Mantra wurde: «Immer wieder versucht, immer wieder gescheitert. Egal. Wieder versucht, nochmals gescheitert. Besser gescheitert.»

Wenn man nicht Federer, Nadal, Murray oder Djokovic heisse, müsse man sich als Tennisprofi damit abfinden, fast überall zu verlieren, wo man antrete, erklärte er. Die Kunst sei, aus diesen Niederlagen das Positive mitzunehmen, sich von ihnen nicht herunterziehen zu lassen. Und immer besser zu scheitern, heisst eben nicht nur, dass man immer wieder scheitert. Sondern auch, dass man besser wird.

Hey, Freunde, das ist das, was wir doch alle erleben. Wir können gewisse Dinge sehr gut, viel besser als andere – aber Bessere gibt es eben auch. Immer wieder. Das Leben ist gepflastert mit Niederlagen, die keine bleiben müssen, die ihren Sinn bekommen, ihre Lehrfunktion. Wir haben allen Grund, unseren Respekt für jene zu erneuern, die sich täglich bemühen, professionell zu arbeiten, besser zu werden, ein Beispiel zu geben. Und vielleicht ist das, was Federer noch vermitteln kann, was noch kommt, das Wertvollste überhaupt: Wie geht er damit um, schlagbar zu sein? Sich Besseren gegenüber zu sehen? Und wie stark haben Wawrinka seine Niederlagen gemacht, die uns allen die aktuellen Siege um so süsser machen?

Wir haben wirklich allen, allen Grund, Sportler-Sinnbilder wie jenes von Wawrinka mehr ins Zentrum zu stellen und nicht immer nur das momentane Resultat blendend über alles zu stellen.

Die letzte Niederlage, die uns blüht, ist der Tod. Niederlagen als notwendige Entwicklungsschritte für die eigene Persönlichkeitsfindung zu begreifen, ist daher Lebenskunst. Es wäre schön, wenn damit auch im Sport unverkrampfter umgegangen werden könnte. Und wenn Journalisten vermehrt Ausschau nach Karriereverläufen suchten, die solche Lebenshilfen bieten – auch dann, wenn sie sich nicht so offenkundig in den Vordergrund gespielt haben wie jetzt Wawrinka: An ihm kommt man aktuell gar nicht vorbei, jetzt ist Wertschätzung leicht. Man kann wirklich nur den Hut ziehen vor ihm! Und sich inspirieren lassen.