Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Was ist schon Klartext und tiefe Empfindung?

∞  7 November 2012, 17:17

Die Möglichkeiten, Gefühle und Regungen in Textbotschaften glaubhaft und mit Wärme weiter zu geben, sind eingeschränkt. Man hat keine Stimme, keine Blicke und Berührungen, um das zu Sagende zu unterstreichen. Und doch gilt an der Computertastatur wie in der Begegnung: Wir lassen uns nicht alle gleich berühren – und es kann sein, dass wir uns im Laufe der Jahre einen Panzer anlegen, ohne dass wir das selbst wirklich bewusst so wollen.

Deine Worte haben mich sehr berührt.

ist so eine Formulierung – und ich habe sie schon oft zu lesen bekommen und auch selbst gebraucht. Und niemand, der sie benutzt hat, soll sich jetzt angepflaumt fühlen:

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Denn was ich daran fest machen will, ist, dass uns niemand sagen kann, dass es einen allgemein gültig anerkannten Standard dafür gibt, wie sehr wir Dinge an uns heran lassen können, und dass – wenn jemand vom Verliebtsein spricht oder von Trauer, wir alle wohl die Situation kennen, dass wir beim Lesen der Worte zweifeln, ob wir selbst je so stark empfunden haben, oder, im Gegenteil, ein Befremden fühlen, weil da jemand erzählt, der von der Liebe oder ihrem Gegenteil gar nicht das kennt, was wir, Sie oder ich, darin schon erfahren haben.

Wir haben alle eine Historie, und nicht nur Religionen und Buddhismus lehren, dass das Leben eine Leidensgeschichte ist, in der wir Verletzungen erfahren, gegen die wir uns intuitiv zu wappnen versuchen, wenn wir einfach so durch unser Leben huschen. Wir schützen uns im Schock des Verlustes einer Beziehung, wir werden härter in unserem Blick auf die Welt und erwarten selbst “vom Leben” immer weniger. Träge im eigenen Handeln zu werden und impulsiver im Widerstreit mit den äusseren Einflüssen ist ein offener Widerspruch, der zu einer inneren Verzweiflung gehören kann.

Und wie viele Menschen kennen wir, die eine Kühle vor sich her tragen, die im Laufe der Jahre immer frostiger wird? Neue Begegnungen zu wagen, in denen man das Kettenhemd auszieht – es gibt Menschen, die das nie gelernt haben, und solche, die es verlernten, denen das Vertrauen in andere und in die Fähigkeit, gut zu sich selbst zu sein, verloren gegangen ist.

Man kann in unserer Welt der unzähligen Zerstreuungen damit scheinbar und äusserlich sehr gut zurechtkommen. Auch so genannt beziehungsunfähige Menschen können sich vernetzen. Vielleicht sind sie dabei sogar besonders aktiv. Wie relativ diese Ersatzanbindungen sind, haben die meisten von uns schon erfahren – zum Beispiel als Begleiter eines Blogs oder eines Facebookaccounts oder in der Mitwirkung in einem Forum: Plötzlich fehlt jemand. Vielleicht sind Verbindungen im Netz auch deshalb oft sehr schnell geknüpft, weil man sie auch sehr leicht wieder lösen kann. Statt dem SMS, das die Freundschaft beendet, reicht da schon der Verzicht auf weitere Teilnahme.

Das Beispiel, dass ein Blogger in einem Text die Einstellung des Projekts verkündet, ist oft sehr anschaulich, wenn das Blog auch von aktiven Kommentierern geprägt wurde: Sie fühlen sich dann, wie wenn sie auf die Strasse gekickt worden wären. Willkommen im Real Life, sozusagen. Hat man also nicht zuviel investiert, ist auch nicht so viel zu verlieren. Und mir scheint, dass immer mehr danach gelebt wird.

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Wer riskiert heute noch die grosse Liebe? Gibt es sie so häufig wie früher? Oder war sie und ist sie eh einfach nur Glück?
Und, wenn ich dieses Glück erfahren habe und weiss, wie viel es mir bedeutet – wie brutal wird es mich treffen, wenn es mir genommen wird? Wenn wir nicht achtsam sind, können wir feststellen, dass wir mitten im behüteten Nest des eigenen wohl geordneten Lebens nur damit beschäftigt sind, uns vor Veränderungen zu fürchten.

Liebe, Arbeit, Spiel. In allem neigen wir dazu, uns in der Wiederholung zu verlieren, in der Anhaftung an Besitz, im Wunsch nach Kontrolle und Sicherheit. Dabei haben wir oft keine Antwort darauf, was uns denn, bitteschön, überhaupt je Sicherheit schenken könnte?

Die Fähigkeit, eine neue Verletzung in Kauf nehmen zu können, vielleicht? Die Liebe zum eigenen Wesen, das in diesem einen Moment einfach atmen möchte. Und womöglich zu jauchzen begänne, dürfte es das tun und müsste nichts anderes.