Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vorsorge - und was sie wirklich kosten könnte

∞  16 Mai 2010, 21:11

Wir stöhnen unter den Kosten für die Krankenkasse. Die Schweiz gehört zu den Ländern mit dem teuersten Gesundheitssystem. Eine umfassende Grundversorgung ist dabei in der allgemeinen Versicherung bereits enthalten. Und wir werden immer gesünder. Wenn wir nicht gerade über die Beiträge jammern, lassen wir uns das entsprechend viel kosten – oder eben bezahlen. Dabei ist eine Tendenz sehr deutlich:

Immer häufiger werden wir an unsere Selbstverantwortung erinnert. Wir sollen gesund essen, nicht rauchen, und vorsorgen allenthalben. Und um sicher zu gehen, dass wir genügend vorgesorgt haben, sollen wir zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Wegen Brustkrebs die Frauen, wegen Prostatakrebs die Männer. Aber das ist ja nur ein Beispiel. Wenn Sie mögen, können Sie sich wohl alle zwei Jahre bestätigen lassen, dass Sie hundert Jahre alt werden. Und kein Mensch findet das übertrieben. Die Vorsorgeuntersuchungsmanie an sich scheint keine Kosten zu verursachen. Dabei ist sie ein riesiges Geschäft geworden, von der Gesellschaft moralisch sanktioniert. Heute werden Eltern, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, vorwurfsvoll gefragt, ob sie denn keine Voruntersuchungen hätten durchführen lassen? Wir sind nicht weit davon entfernt, dass die Gesellschaft über unser Leben entscheidet – oder die Art und Weise, wie wir es verlängern sollen dürfen oder eben auch nicht. Nah dran am ultimativen Fingerzeig der Gesellschaft, der das sagt: “Selber schuld”, sind wir schon.

Damit sanktionieren wir vor uns selbst unsere Neigung, mit dem Leben einen einseitigen Vertrag abzuschliessen: Wenn ich so und so vernünftig lebe, dann habe ich Anspruch auf eine bestimmte Lebenswerwartung – und natürlich auf jede Form von Medizin, die mir dabei hilft. Als wäre das Leben nicht länger ein Geschenk und die Statistik keine Wahrscheinlichkeit mehr sondern eine Art Begründung einer moralischen Verantwortung meines Lebensplans gegenüber mir: Anrecht auf Leben. Auf Gesundheit. Auf Alter, womöglich ohne altern… Derweil vergessen wir zu leben: Wir vernormen unseren Alltag total, agieren immer lustloser, leben überhaupt nicht mehr im Jetzt. Denn jetzt müssen wir ja vorsorgen.

Prävention – auch gegen diese Tendenzen? Ganz einfach: Eine familienfreundliche und bildungsstarke Gesellschaft schaffen, in der soziale Kompetenz ein Wert ist, der Mitgefühl, Nächstenliebe und Mitverantwortung aller zu Werten macht, denen man sich verpflichtet fühlt – so dass es nicht so sehr wichtig ist, wer welche Leistung vom Staat oder von Versicherungen bezieht, sondern wer wie gern und wie freudig inmitten von uns anderen lebt. Machen wir das Leben wieder mehr zu einem Gemeinschaftserlebnis. Das wäre wohl die beste Vorsorge überhaupt. Und würde das Leben fördern. Im Jetzt. Von dem Moment an, in dem wir uns dieser Arbeit widmen. Sie tut nämlich gut. Allen Beteiligten.