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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Von Rassen, Massen und Teams

∞  20 Juni 2010, 19:32

Kamerun ist an der WM als erstes Team ausgeschieden. Im letzten Spiel haben der Staatspräsident und die Zeitungen die Aufstellung gemacht, heisst es. Auf dem Platz war zu sehen, dass da elf Spieler alles sind, nur kein Team. Schuld ist nun aber der Trainer, der einzige involvierte Weisse, ein Franzose namens Le Guen. Der Mann hätte Kamerun “getötet”, sagt eine Frau in Yaoundé ins Mikrofon des Schweizer Fernsehens. Bevor Drohungen ausgesprochen werden: Alle Weissen raus aus Kamerun.

Da ist Rückzug angesagt. Das Ganze ist immer in gleicher Weise stereotyp: Die Afrikaner haben ihren Stolz – wie alle Völker. Aber trainieren lassen sie sich stets von Europäern. Ergebnis dann: Siehe oben.
Le Guen ist übrigens ein Fachmann. Er wurde mit Lyon mehrmals französischer Meister. Und war damit Schmuck genug und Prestigebeweis für einen Verbandsbonzen, der sich mit seiner Verpflichtung kurz vor WM-Beginn brüsten konnte.
Warum Le Guen den Job annahm muss er selbst beantworten. Die Antwort dürfte genau so wenig überzeugen können, wie wenn in der Schweiz ein Trainer den Job in Sion annimmt. Und dennoch findet sich immer einer, obwohl die durchschnittliche Verweildauer auf dem Posten weniger als vier Monate betrifft. Und es sind nicht etwa nur die gestrandeten Existenzen, die sich das zumuten. Der nächste wird Mr. Challandes sein, zuvor Trainer des FC Zürich und davor im Verband der U-21, die ins Halbfinale der EM einzog.

Und in Frankreich? Da bestreiken die Spieler das Training, um gegen den Rauswurf des Spielers Anelka zu protestieren. Der hat in der Pause des zweiten Spiels den Trainer mit übelsten sexistischen Flüchen eingedeckt und wurde daraufhin ausgewechselt und in der Folge vom Verband nach Hause geschickt. Die Spieler zeigen nun Teamgeist neben dem Platz, aber auch der richtet sich nur gegen innen: Sie wollen den Verräter entlarvt sehen, der die “Gespräche” aus der Kabine der Presse weiter gab. Anelka ist schwarz. Der Kapitän Evra ist es auch. Gallas auch, aber der ist wütend, weil ihm Evra als Kaptiän vorgezogen wurde.
Frankreich wurde einmal Weltmeister, weil es gelang, alle ethnischen Gräben zuzuschütten und als Team aufzutreten – und so die besonderen Talente der farbigen Spieler zum Nutzen aller auf den Platz zu bringen. Tempi passati. Anelka war für neutrale Beobachter der schwächste Mann der ersten Halbzeit. Und das beste Beispiel für einen Einzelspieler ohne Bindung und Gedanke an das Teamgefüge. Er sah und sieht sich als Symbol für die Lückenbüsser-Rolle, welche Spielern wie ihm allerhöchstens zugebilligt werden. Ein solcher Spieler schuftet nicht für andere.

Auf dem Platz ist die Mannschaft, die nur wegen einer groben Unsportlichkeit (Thierry Henrys Hands im Barrage-Spiel gegen Irland) überhaupt an die Endrunde gelangte, eine einzige Peinlichkeit für viele Franzosen – und der Auftritt alles andere als eine Überraschung. Möge der Albtraum bald zu Ende sein und Vernunft einkehren.

Fussball ist nur ein Spiel. Aber es ist auch ein Treibhaus, in dem gesellschaftliche Entwicklungen und gruppendynamische Prozesse wuchern, wie sonst kaum in einer Alltagssituation. Ist das alles gesund, sollte man sich davon abwenden, weil es einfach nur eine lächerliche bis groteske Show ist? Ja und nein. Am Ende reflektieren sich viele Zustände unseres Zusammenlebens in der Atmosphäre einer aufgeladenen Emotionalität, in der nationale Identität, ethnischer (intakter oder angeschlagener) Stolz, mangelndes Selbstbewusstsein auf eingeschweisste Gemeinschaften treffen mögen – und manchmal eiert der Ball dann genau so, dass im Ganzen wieder eine Gesetzmässigkeit erkannt werden mag. Am Ende aber bleibt wohl auch hier nur eines: Der Versuch, diese besondere Situation als Mensch und als Team bestmöglich zu meistern. In Sieg und Niederlage.

Interessant ist in diesem Zusammenhang immer wieder der Blick auf Maradona: Vielleicht wäre er der genialste Fussballer aller Zeiten und hätte die entsprechende Wertschätzung verdient. Aber mit Maradona wird ausserhalb von Argentinien immer auch “die Hand Gottes” verbunden bleiben, das absichtliche Handspiel, mit dem er England aus dem Turnier kippte. Und damit, je nach Stimmungslage und gesellschaftlichen Kriterien, ein Makel. Je mehr ein solcher schwindet, je mehr Raum der Sieg und Erfolg um jeden Preis bekommt, um so ungemütlicher wird es, finde ich.

Nach der WM übernimmt Laurent Blanc das Amt als Nationaltrainer Frankreichs. Der Mann bekommt viel zu tun. Aber er gehörte als Innenverteidiger der Weltmeistermannschaft an und weiss vielleicht noch, was es brauchte, um die so unterschiedlichen Typen aus verschiedenster Herkunft zum Team werden zu lassen. Und vielleicht kann er es vermitteln. Die Geschichte geht weiter. Immer weiter. Wie das Gelingen oder Scheitern in unser aller Zusammenleben auch.