Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Von Drahteseln und ihren Reitern - und von Hengsten. Zumindest einem.

∞  16 April 2010, 20:18

Das war ein sehr schöner Frühlingsspätnachmittag, mit einer kleinen Episode am Rande, die mich noch immer Schmunzeln lässt…:

Ich hatte heute einen richtig guten Arbeitstag. Ich bin “vorwärts gekommen”, wie man so schön sagt, und alle wissen wohl, was ich damit meine. Wie es sich für einen menschenfreundlichen Freitag gehört, war deshalb früh genug Feierabend um festzustellen, dass die Sonne scheint und auch schon ein bisschen wärmt. Also nichts wie raus. Ich habe mein Bike saisontauglich machen lassen, und finde es nun an der Zeit, das Vergnügen von wieder einwandfrei schaltbaren Gängen und optimal eingestellten Bremsen zu geniessen. Ich muss allerdings vorausschicken, dass ich, ähnlich wie ich früher ein “sinnlicher Skifahrer” war – ich genoss jede gefahrene Kurve – ein so genannter Genussradler bin: Ich fahre nur mit so viel Druck auf den Pedalen, dass die Beine freiwillig drehen und schau mir im wohligen Gefühl der harmonischen Bewegung die Landschaft an.

So habe ich dann auch ausführlich Zeit, mich auf den bald linker Hand liegenden Pferdehof zu freuen: Ein Trainingsgelände für Galopper liegt gleich daneben, und in einer kleinen Koppel ist da oft ein Rennpferd zu beobachten, das nicht mal dann, wenn es weiden könnte, ruhig stehen oder traben kann. Es scheucht nach rechts und dann nach links, immer dem Zaun entlang, es koppt, wie man, glaube ich, den Tick nennt, wenn ein Pferd ständig mit dem Kopf in die Luft schlägt. Wie dieser Wildfang überhaupt je geritten werden kann, weiss ich nicht. Aber das Spiel seiner Muskeln, die Spannung seiner Bewegungen – das alles ist faszinierend. Es gibt wirklich Pferde und Pferde…

Dann sehe ich meinen Bekannten auch schon. Alles wie immer. Er läuft hin und her, ohne einen Blick für mich. Ich aber höre hinter mir ein Schaltgeräusch, und bevor ich mich umdrehen kann, schiebt sich mir an meinem linken Augenwinkel vorbei eine Zungenspitze ins Bild, dem ein über den Lenker gebeugter Kopf folgt. Der Mann ist etwa siebzig Jahre alt und hat keinen Blick für Hengste. Er ist mit seinem eigenen Testosteron beschäftigt und wird davon im Flug an mir vorbei geweht. Sein Nackenhaar weht unter dem verschwitzten Helm und er stellt die Ellbogen leicht raus, als erwartete er, ich wollte mich wieder an ihm vorbei zwängen. Es ist ein groteskes, aber humoriges Bild. Und mein Pferd? Das ist stehen geblieben! Es dreht den Kopf leicht über die Schulter nach hinten, dem entschwindenden Poulidor nachblickend, und beginnt tatsächlich zu wiehern. Dabei blähen sich die Nüstern und zeigen sich die Zähne, so dass ich plötzlich das Gefühl habe, Lucky Lukes reitbarer Untersatz wäre leibhaftig geworden: Der Spinner lacht tatsächlich den Pedaleur sans charme aus! So kommt es mir auf jeden Fall vor und ich muss auch grinsen.

Dann bewegt sich der Hengst wieder, aber nun geht er im Schritt und grast sogar. Humor ist eben wirklich gesund. Und ich pedale nach Hause, ein wenig nachdenklich. Ein Pferd, das in einer zu engen Koppel seine Kräfte kaum entfalten kann – oder zu selten – und wir, die wir die Landschaft eigentlich immer vor uns haben. Wenn wir in die Natur gehen, dann erzählen wir im Brustton der Überzeugung von unserem nachhaltig gesunden Tun. Aber wie oft durchschneiden wir auch dann nur ein bisschen die Zeit, gelangen von A nach B und sind fokussiert. Aber nicht auf den Moment, nicht auf das Unzählbare, das zu Entdeckende – sondern auf Messbares, auf Vergleiche. Wir trimmen uns beständig. Aber auf was? Wir können die Zeit, der wir nachjagen, gar nie einfangen. Wir können sagen, dass wir den Kilometer in der Zeit von xy schaffen. Und uns dafür abstrampeln. Das gibt uns dann Befriedigung.

Ich kann aber auch mit dem Ziel, von A nach B zu kommen, gemütlich durch die Landschaft touren, und am Ende auch feststellen: Es ist erstaunlich, wie weit man mit dem Rad in einer bestimmten Zeit kommen kann. Und vor allem, was dabei zu erleben ist. Das gibt uns dann Befriedigung. Wir haben aus eigener Kraft einen Weg zurück gelegt und dabei unser Bewusstsein geschärft. Für die Dinge, die ausserhalb von uns liegen – und unser Leben doch so sehr färben, wenn wir sie sehen.