Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Von der U-Bahn und uns

∞  24 September 2011, 20:16

Ein paar Minuten Unsicherheit gehen vorüber – aber sie besuchen uns ja doch immer wieder.


Die U-Bahn ist ein praktisches Verkehrsmittel, das ich in Städten wie Berlin gern und oft benutze. Auf dem Weg in die Katakomben nehme ich dabei oft nur aus dem Augenwinkel wahr, was es heissen mag, hier zu arbeiten: Ein Blumenstand an einem Ort ohne Tageslicht? Fastfood mit Regalen, die dem Mief der unsichtbaren Staubwolken aus dem Abrieb der Bremsbeläge trotzen müssen – wie oft und wie lange kann so eine Thekenfrau zwischendurch eigentlich ins Tageslicht auftauchen?

Aber wie gesagt: Als Verkehrsmittel ist die U-Bahn unschlagbar. Es gibt keine schnellere Verbindung zwischen zwei Punkten. Die Graffiti an Wänden und in den Zügen stören nicht. Selbst die Siztpolster scheinen darauf abgestimmt zu sein. Es ist oft miefig in den U-Bahnzügen Berlins, aber richtig dreckig nur selten. Die Bezüge haben den Charme von Wachstüchern, sie scheinen gegen Schmutz resistent – und bekommen eher Löcher als sichtbare Flecken. Aber wer schaut denn so genau hin, wenn er U-Bahn fährt. Diese Züge sind für jene gedacht, die nicht so genau hinschauen, und so versinkt jeder in sich oder ins Handy-Panel oder die Musik zwischen den Ohren. Schwierig wird es, wenn das nicht möglich ist. Oder es dafür eine gehörige Portion Ignoranz braucht.

Der Wagon ist einigermassen voll, in jedem Abteil sitzen mindestens zwei Personen. Die jungen Araber müssen sich verteilen. Nur die zwei Wortführer setzen sich, schräg übers Eck, in den Abteilen einander gegenüber. Die drei Jüngeren setzen sich nicht, stehen darum herum, bilden das Publikum. Der grössere der beiden Sitzenden trägt einen schwarzweissen Trainer, die Hose ist fleckig, die Füsse wippen nervös in dick besohlten Turnschuhen. Die Baseballkappe rägt er verkehrt herum, und darunter schwillt ihm das schwarze Kraushaar aus dem Nacken. Die kräftigen Lippen stehen nie still, das bärtige Kinn schnappt immer vor und zurück, und er unterhält sich mit seinen Kumpels mit weit ausladenden Bewegungen. Das Stakkato der arabischen Guturallaute hallt durch den Wagen. Sein sitzender Kollege ist schlank, ebenfalls gross, trägt Jeans und Shirt und die Baseballmütze sitzt ihm richtig auf dem Kopf. Er gibt den Womanizer und fixiert die sttrohblonde jüngere Frau, die sich im Gang vorbei zwängt und sich im Stehraum dahinter an einer Stange festhält.

Es ist ganz offensichtlich, dass sich die Gruppe Männer über die Frau unterhält, und obwohl nichts zu verstehen ist, Gesten unterbleiben, so sind sich doch alle Westeuropäer im Wagon sicher, über was die Männer reden. Keinem ist es angenehm. Man sieht es an den unruhigen Blicken, die gleichzeitig darum bemüht sind, nicht auf den Arabern ruhen zu bleiben.

Ich schaue die Frau an, suche ihren Blick, für einen langen Moment sehen wir uns in die Augen. Ich lächle nicht, dennoch entspannt sie sich ein wenig. Ich beobachte den Krausbart und sein Gehabe. Wie anstrengend, diese ständige Attitüde als Platzhirsch, umgeben von Köpfen, die etwa so wackeln wie die uns bekannte Dackelfigur auf Hutablagen in älteren Autos. Fünf Männer, die nichts zu tun haben. Die fremd sind und uns befremden. Hier ist nichts von Integration zu spüren. Die Männer werden bald aussteigen, der Krauskopf wird auf dem Bahnsteig nochmals die Arme ausfahren und einen Witz machen, sich dann über den Bauch fahren und zur Treppe schlurfen, nachdem er sich von den Kumpanen getrennt hat. Er ist dabei nur noch ein Mann am Rande, ohne echte Perspektiven, wie es scheint – und dabei scheint er recht klein.

Und was ist mit uns im Wagen, die wir weiter fahren? Alle sitzen gelöster da, verdrängen ihr Unbehagen. Es ist nichts passiert. Natürlich nicht. Und natürlich ist das falsch. Alle unsere Gedanken sind nicht nichts. Das Unbehagen zieht nur weiter, bis es mit der nächsten Begegnung wiederkommt.

Menschenbilder gehören zum Lebenszirkel, zur Zurechtfindungsweise, mit der wir die Welt einordnen in richtig und falsch, in ordentlich und absonderlich, in rechtschaffen und faul.
Wie sollen Fremde zu Vertrauten werden? Wie lernen wir nur schon, mehr wissen zu wollen?
Ist jemand zusehr anders, wollen wir nur eins: Dass er weg bleibt. So einfach ist das. Und so verflixt schwierig.

Unter den Menschen, die auf U-Bahnstationen arbeiten, sind vermutlich einige Landsleute unserer hier beschriebenen Gesellen, die sich dafür entschieden haben, den zugeordneten Platz anzunehmen. Vielleicht sollte uns das einfach ein bisschen mehr Anerkennung wert sein. Dann kann man diese Integration auch fordern.