Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Von der Erfahrung

∞  1 März 2013, 12:59

Wir kennen das alle: Die Erfahrung, die abwinkt. Der junge Erwachsene, der in seinem Enthusiasmus belächelt wird, der Chef, der gar nicht richtig hinhört, weil er “weiss”, dass er es ganz sicher besser weiss, die Nachbarin, die auch “man weiss es ja” sagt, aber es ganz bestimmt nochmals hören will oder noch besser zur Sicherheit gleich selber nochmals sagt.

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Wir reden oft von der Erfahrung, auch von den eigens gemachten, und das Wort Erfahrung hat so was Absolutes, Autoritäres, als würde es eine Wahrheit benennen. Dabei ist sie nur eine Erinnerung an ein Leid, an einen Nasenstüber, an eine erfolgreiche Strategie, vielleicht eine Quintessenz aus dem Ratschluss an sich selbst, sich bestimmte Verletzungen nicht mehr zufügen lassen zu wollen.

Erfahrungen stehen den Illusionen im Weg, und das macht sie für Viele so wertvoll, obwohl sie doch eigentlich einen freiwilligen bis leichtfertigen Verzicht auf Vielfalt, auf neues Wagen, auf einen anderen Ausgang bedeutet. Worin sind wir denn erfahren? Kommen wir mit unserer Erfahrung jemals dort an, wo es sich wirklich lohnt, inne zu halten? Befriedet sie uns, diese Erfahrung, schenkt sie Gelassenheit, oder liegt darin mehr Wehmut, die in Resignation kippen könnte?

Wenn wir wissen, dass das Glück flüchtig ist, wenn wir ihm nachsteigen und dann plötzlich nicht mehr – wollen wir einfach nicht mehr enttäuscht werden oder machen wir die Erfahrungen der Vergangenheit zum wohltätigen, gutmeinenden Lehrer einer in sich ruhenden Gegenwart? Verändern wir wirklich die Bilder, die unser Leben prägen sollen? Oder begehen wir, Kraft unserer Erfahrung, nur Abschiede? “Einen Fehler nicht mehr machen zu müssen” – sagt noch nichts darüber aus, wie wir mit der Erfahrung des Fehlers umgegangen sind, seinerzeit, und heute mit der Erinnerung daran. Erfahrung für sich als Begriff benannt ist völlig wertfrei und subjektiv: Er bezeichnet ein persönliches Erleben und einen subjektiven gezogenen Schluss daraus – ob dieser richtig oder schlüssig ist – das kann nicht wirklich gesagt werden, mag der Erfahrene auf diese seine Erfahrung noch so entschieden hinweisen.

Wir erleben Brüche, Enttäuschungen, haben Erfolgsrezepte und Glücksmomente – wenn wir den nächsten Moment nicht mehr als neu erfahren können, ja es womöglich gar nicht mehr wollen, dann machen wir keine neuen Erfahrungen mehr. Und Erkenntnisse gewinnen wir erst recht nicht mehr.