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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom Wesen der Genugtuung

∞  21 September 2008, 08:02

Die Bedeutung des Wortes ist vielschichtig, und sie hat vor allem verschiedene Tonlagen, je nachdem, ob die Genugtuung auf fremde Hilfe angewiesen ist, eingefordert werden muss, oder die Quintessenz eigener Anstrengung ist – oder sein müsste.




Je länger ich über das Phänomen der Genugtuung nachgedacht habe, um so mächtiger hat es sich vor mir aufgebaut. Dabei möchte ich die pseudo-juristischen Fragen rund um Schmerzensgeld und Genugtuung bewusst aussen vor lassen, mich also gar nicht mit den Unterscheidungen aufhalten, sondern einfach dem menschlichen Bedürfnis nach Genugtuung nachspüren:

Die Bedeutung des Wortes ist vielschichtig, und sie hat vor allem verschiedene Tonlagen, je nachdem, ob die Genugtuung auf fremde Hilfe angewiesen ist, eingefordert werden muss, oder die Quintessenz eigener Anstrengung ist – oder sein müsste.

Um Genugtuung zu erfahren, brauche ich also die Hilfe anderer. Ich muss in eine Gesellschaft integriert sein und sie muss die Bereitschaft zeigen, den Sachverhalt festzustellen, zu meinen Gunsten zu entscheiden und entsprechend zu sanktionieren.
Im Idealfall, wenn also dies alles geschieht, verbleibt am Ende eine Anerkennung einer Leistung, ein Schuldspruch für ein Unrecht, eine Geldleistung oder Richtigstellung, eine Entschädigungszahlung vielleicht, und der auch vom System angedachte Versuch, damit in die Normalität zurück zu finden.
Das Ergebnis muss oft langwierig und unter unglaublichem Einsatz aller verfügbaren psychischen und physischen Ressourcen erstritten werden. Auch für einen nur teilweisen Erfolg. Am Ende geht es den Geschädigten immer ähnlich: Die innere Satisfaktion, den Frieden machen mit dem Geschehenen – das kann man nur bei sich und in sich und mit sich selbst. So lange ich Genugtuung fordere, brauche, auf sie warte, so lange wird sie mein Leben bestimmen und damit die Tat, das Unrecht verstärken.

Eine Anerkennung einer Schuld auf der Gegenseite würde manchmal Vieles erleichtern – zumindest in vielen Fällen: Es kann nichts ungeschehen gemacht werden, aber ein Täter, der seine eigenen Fehler er- und anerkennt – das wäre ein wunderbarer Anfang, der es einem erlaubte, selbst wieder gefordert zu sein zum Neuanfang. Eine Garantie für neuen inneren Frieden ist auch das nicht, auch wenn man damit etwas hätte, an dem man sich festhalten könnte, einen Vorgang, eine Reifung, die der Sinnlosigkeit des Geschehenen die Spitze bräche und es erlaubte, daraus einen Trichter zu formen, durch den Wasser fliessen kann wie Lebensquell. Das eigene Leiden würde – vielleicht – erträglicher.

Leider ist meist das Gegenteil der Fall: Der Schuldige schöpft seine Rechtsmittel aus, und die Art und Weise, wie er damit das eigene Leiden mehren kann, ist oft zusätzliche Qual.
Und wie steht es mit der Genugtuung, die ich durch die Anerkennung einer eigenen Leistung bekomme oder bekommen sollte?

Die Gesellschaft muss Werte haben, die diese Leistung anerkennen und ehren. Wird mir die Anerkennung meiner Person (und Position) verweigert, so fordere ich vielleicht auch Genugtuung – oder würde sie mir wünschen. In Form von mehr Aufmerksamkeit von meiner Umgebung– oder einer anderen Art der Beachtung.

Hatten SIE stets das Gefühl, für Ihre Arbeit, Ihre Leistungen, Ihren Einsatz die gebührende Beachtung zu bekommen? Die wenigsten haben darauf einfach ein JA. Wir alle kennen dieses Gefühl. Und mancher ändert schleichend seine eigene Einstellung, oder zieht seine Konsequenzen. Es fällt der Satz:


Ich habe auch meinen Stolz.


Genugtuung ist in den kleinen Dingen des Alltags oft ein grosses Wort, das vielleicht zu schnell bemüht wird. Das eigene Ego formt manchmal einen Stolz, der nicht zur inneren Überzeugung passt, die mit zur Selbstfindung, zum Selbstverständnis gehört: Wir tun viele Dinge so, wie wir sie gelernt haben, wie wir erzogen worden sind, weil wir überzeugt sind, dass es so richtig ist. Je mehr Selbstvertrauen wir haben, uns mitgegeben wurde fürs Leben, umso leichter fällt es uns, auf unserer Linie zu bleiben und keine Bestätigung von aussen zu benötigen.

Das Verrückte an der benötigten Genugtuung ist ja, dass sie je schwerer zu bekommen ist, desto dringender sie angebracht und nötig wäre: Wird das Vertrauen des schutzbedürftigen Kindes missbraucht, so ist die Verschleierung des Unrechts oft ein quälender Fortgang über Jahrzehnte. Genugtuung scheitert nicht nur an der Verschwiegenheit familiärer Mechanismen, sondern auch an der Schwere der Verletzung, die durch das Wissen, Unrecht erfahren zu haben, nicht getilgt werden kann.

Und so ist die segensreichste Genugtuung diejenige, vor dem eigenen Spiegelbild bestehen zu können oder es wieder lieb gewinnen zu können, unbesehen vom Urteil anderer oder der Verurteilung Dritter durch die Gesellschaft. Wir aber, die wir durch unser Verhalten, unser Mittragen oder das Fehlen von Empathie dazu beitragen, dass es so schwierig sein kann, in diesen Spiegel zu blicken – wir sollten alles dafür tun, dass verbannt wird, was immer den Menschen den Glauben an sich selbst zu nehmen droht. Keine Gesellschaft, die keine Hand bietet für die Genugtuung, in Freiheit selbstbestimmt und anerkannt als einzelne Person in der Gemeinschaft leben zu können, bleibt auf Dauer lebensfähig.

Lernen wir also die Genugtuung, vor uns selbst bestehen zu können. Mit allen unseren Verletzungen. Und helfen wir einander dabei. Jenseits aller gesellschaftlichen Institutionen, die stets mindestens so unvollkommen bleiben wie wir selbst, dafür lernend im täglichen Kontakt mit einander. Und hören wir auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen – und an der nächsten Ecke weg zu sehen, wenn der Blick geradeaus unangenehm zu sein verspricht, für andere aber wichtig wäre. Eine Genugtuung eben, im entscheidenden Moment nicht allein gewesen zu sein.


°


[Bildquelle: Stürmer Zickler auf spiegel.de / AP]

Blogbeitrag auf Grund einer “skribit-Umfrage”:http://skribit.com/blogs/thinkabout



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Ich achte Dich, weil auch ich respektiert werden möchte