Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom Unvermeidlichen

∞  4 Juni 2010, 20:51

Das Buch “Der Knacks” von Roger Willemsen stellt mir nach 65 Seiten vor allem eine Frage, die ich im Grunde nach jeder Seite wiederholen könnte: Warum habe ich das Buch nicht längst zur Seite gelegt?
Nein! Es ist kein schlechtes Buch. Es ist so gut geschrieben, wie dafür das Leben, unser aller Leben, genau beobachtet wurde. Aber es beschreibt eigentlich bisher nichts anderes als unser permanentes Scheitern. Und das scheinbar Schlimme: Ich kann wahrscheinlich lange darauf warten, dass dieser Eindruck korrigiert wird. Denn er ist nicht falsch. Der Autor erzählt vielmehr in jedem Abschnitt Endlichkeit, Vergänglichkeit, Scheitern, Veränderung, Enttäuschung, Relativierung. Das alles wirft Falten im Gesicht. Manche Menschen mögen es später erfahren, andere sind – wie ich – mit vierzig grau und können noch ein bisschen kokettieren. In unserem Inneren aber knackst es ständig:
Unser Lebensentwurf enthält Sätze wie:
“Wenn ich gesund bleibe, dann…”
“Mit einem Quäntchen Glück”
“Wenn nichts dazwischen kommt”
Aber wir kalkulieren nicht damit, dass wir uns selbst dazwischen kommen. Die grössten Gefährdungen dieser Entwürfe sind innere. Sagt Willemsen. Und er hat recht.

Je älter wir werden, um so mehr werden wir uns bewusst, dass das Gefühl des Vergeblichen in allem lauert und die Überzeugung sich verdichtet, dass das Scheitern unvermeidlich ist. Am Ende haben wir eine ganze Menge geschafft, und sind an ganz vielem und immer am nächsten gescheitert.

Wenn ich dazu neige, gegen diese Sichtweise zu protestieren, so ertappe ich mich dabei, dass ich vergleiche: Ich mache Bilanzen, in denen ich das, was ich meine, “wert zu sein”, mit dem vergleiche, was ich meine, dass andere leben. Alles Blödsinn. Das Buch wird wohl darauf hinaus laufen, dass nichts übrig bleibt, als mit der zentralen Beobachtung dieses Laufs eines Lebens gelassen umgehen zu lernen. Damit das Tempo, mit dem uns die Zeit plötzlich immer häufiger zurück lässt, keinen Schrecken zurück lässt und wir stattdessen diese Furcht der davon eilenden Zeit mitgeben. Husch hinweg, und quäle andere. Die Welt, die wir zu drehen meinen, wird nicht wirklich von uns gesteuert.
Dies gilt, ohne Arbeit mit sich selbst, ohne Zuwendung zu diesen Prozessen, erst recht für unser Inneres. Wenn wir uns nicht dazwischen kommen wollen und stattdessen dem Unvermeidlichen unsere Neugier zuwenden, dann werden diese Unvermeidlichkeiten Teil einer Erfüllung. Der Lebenslehre. Auch und gerade, weil diese ohne den Tod nicht auskommt.