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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom Streit. Im Verwandtsein.

∞  14 März 2013, 18:25

Harmonie. Wer wünscht sie sich nicht? “Dem lieben Frieden” geschuldetes Wohlverhalten dient doch allen? Doch was können wir uns denn damit wirklich erarbeiten?

istockphoto.com/MisterM: “Ashamed”

Eine Freundschaft gewinnt ihren Wert für Beide aus der Tatsache, dass man nichts mehr gegen einander aufrechnet, es keinen Zweifel darüber gibt, ob man respektiert wird oder nicht. Man fühlt es, kriegt es gesagt und vorgelebt – in konkreten Situationen. Freundschaften entstehen oft als Laune des Schicksals, aber diese Chancen nehmen wache Menschen auf, die im richtigen Moment Offenheit und Neugier mitbringen können. Sie wählen sich die Freunde vielleicht nicht aus, aber das JA zu ihnen ist ein freies, im Idealfall frei gewähltes Ja.

Verwandtschaften sind da ganz anders. Da kann man schon mal zu hören kriegen, dass man mit seinem Verhalten “die Familie durcheinander bringe”. Und mit der Ansprache des Missetäters ist dann nicht dessen wertvoller Beitrag zur Klärung von Unstimmigkeiten gemeint, sondern der unerwünschte Unruheherd, der Disharmonie hervorbringt, Destabilisierung, wo doch alle zusammenrücken sollten.

Verwandtschaften kennen eher Waffenstillstände als Friedensschliessungen. Eine Verwandtschaft kann auch nicht zurück gegeben werden. Sie ist einfach. Heute können wir allerdings viel losgelöster von gesellschaftlich-familiären Bindungen in der Gemeinschaft der Bürger überleben, weil an diese Gemeinschaft schlicht viel weniger Anforderungen an Konventionen gestellt werden. Und doch liegt in Bindungen auch die Chance, den Wert von Unverbrüchlichem zu erahnen: Ewig Verbindendes ist vielleicht Theorie, aber die Bande bleibt, auch in der Ablehnung, eine emotional bedeutsame Komponente der eigenen Identität, und mag sie nur in der versuchten Abgrenzung liegen.

Man kann sich nach einem Projekt trennen, mit der Erkenntnis, “dass man sich überstanden hat” – und sich getrost anderem zuwenden. Aber haben Sie mal einen verwandtschaftlichen Diskurs bis zum Ende durchlebt – das klassisch schöne Beispiel ist die Erbengemeinschaft – um am Ende sagen zu können, dass Sie danach genau so nüchtern ihres Weges gehen konnten, wie wenn sich Geschäftspartner getrennt hätten? Ich habe meinen Patenonkel vielleicht alle paar Jahre einmal gesehen und zwei Telefonate mit ihm pro Jahr geführt, aber seitdem er seinen Dickkopf in einem Disput so gnadenlos zwischen die Bretter gehalten hat und entsprechend dickschädelig jedem die “Freundschaft” aufgekündigt hat, ist Funkstille. Absehbar war es, mein Leben kennt andere Mittelpunkte, und doch nagt die Erinnerung bis heute an mir und wird es immer tun: Und je mehr sie es tut, um so dicker ist das Brett, das ich selbst genagelt habe. Kein Weg zurück. Punkt. Da hat tatsächlich etwas die Verwandtschaft durcheinander gebracht. Genau durch ein Beharren auf eine Art Kadavergehorsam gegenüber “dem eigenen Blut”. Völlig widersinnig, rational betrachtet. Doch was, bitteschön, ist an meiner bis heute so starken Erinnerung an die Ereignisse und der daraus resultierenden Ablehnung wirklich rational?

Also, dem lieben Frieden wegen sich wohlverhalten – wirklich eine Weisheit? Nein. In unseren Zeiten, in denen soziale Familiengemeinschaften kein Gesellschaftsmerkmal mehr sind, ist kein Verlass auf Bande, die Abhängigkeiten schaffen – aber vielleicht wäre der Umgang im Konflikt, mit mehr Bereitschaft, ihm nicht auszuweichen, ihn aber auch nicht abwürgen oder partout gewinnen zu wollen, verbesserungsfähig:
Wir erfahren, dass die soziale Verantwortung der Gemeinschaft in der Politik bröckelt. Im konkreten Konflikt jenseits des Aufbegehrens gegen oder der Durchsetzung von Autorität schlummert aber immer die Möglichkeit, verbunden zu bleiben, auch im Konflikt, und das auch zu bejahen. So dass in der Not der Teufel Fliegen fressen, und der “Gewinner” Gnade walten kann – oder, weniger martialisch ausgedrückt, schlicht Versöhnung möglich ist. Wer weiss, vielleicht gar in Verwandtschaften. Sie werden auf jeden Fall immer wieder dazu aufgefordert, weil Verwandte immer wieder Termine mit einander haben. Oder hätten.