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Vom Star zum Patienten – und zurück?

∞  14 August 2011, 20:15

Ein Sporttalent steht vor einer grossen internationalen Karriere, wird zum Star. – Und eine Woche später ist alles ganz weit weg. Da könnte man verrückt werden, hadern und zornig werden, seine Umgebung verfluchen. Es geht auch anders. Demütiger. Der Blick auf einen besonderen Weg eines jungen Menschen.


Stellen Sie sich vor: Sie haben ein herausragendes Talent, sind in einer Sportart ausserordentlich gut. Seit Ihrer frühen Kindheit dürfen Sie dieser Leidenschaft nacheifern. Sie wollen Profi werden, trainieren und arbeiten für dieses Ziel sehr ernsthaft, sind bereit, immer noch etwas mehr auf sich zu nehmen und nicht nur auf Ihr Talent zu vertrauen. Sie wollen sich dieses Geschenk mit entsprechender Arbeit verdienen und alles dafür tun, dass Sie in einem relativ kurzen Zeitraum einer Sportlerkarriere von etwa fünfzehn, maximal zwanzig Jahren das Maximum aus den gegebenen Voraussetzungen herausholen können.

Jonas Hiller ist ein solcher Sportler und als junger Schweizer Eishockeygoalie im letzten Januar am Ziel seiner Träume angekommen: Er wurde nicht nur von einem Eishockeyverein in der nordamerikanischen NHL, den Anaheim Ducks, gedraftet, er wurde auch Stammtorwart und war so gut, dass er beim Allstar-Game in die Auswahl berufen wurde. Hiller zählte zu den besten fünf Torhütern der besten Liga der Welt und erntete Lobeshymnen von Mitspielern und Fachleuten der Liga. Und dann dies:
Eine Woche nach diesem Allstar-Game ist alles anders. Hiller wird krank. Rätselhafte Symptome werden festgestellt, Beeinträchtigungen, die für einen Torhüter fatal sind. Das Reaktionsvermögen kann nicht aktiviert werden, weil die Koordination fehlt. Fliegende Objekte kann er plötzlich nicht mehr rechtzeitig erkennen – da bist du als Torhüter so erfolgreich wie wir als Fliegenfänger. Mit einem Schlag steht Hiller an der Bande statt im Tor. Im Training macht er noch eine Weile mit, doch es geht nicht. Im nordamerikanischen Profisport, wo die Trainer kaum mit dir reden, selbst wenn du eingesetzt wirst, muss eine unglaublich schwere Zeit für Hiller begonnen haben. Quälend daran aber ist vor allem die Ungewissheit und die Unsicherheit, weil die Ursache nicht wirklich diagnostiziert werden kann. Es bleibt nur eines:

Therapie. Üben. Erholen. Training auf einer ganz neuen Ebene. Es geht nicht mehr darum, täglich noch besser zu werden, sondern darum, in Monaten elementare Fähigkeiten neu zu programmieren. Heute sendete das Sportpanorama einen Beitrag über Jonas Hiller, sieben Monate danach. Er bereitet sich in Bern auf das Trainingslager Anaheims vor. Es geht ihm besser. Viel besser. Ob er aber wirklich zurück findet an die absolute Spitze, weiss er noch immer nicht. Aber Hiller sieht sich wieder als Eishockeytorhüter, er kann wieder mit Vorjahren vergleichen und glaubt an sich.

Und jetzt kommt der Grund, warum dieser Artikel überhaupt geschrieben wird: Seine Freundin wurde gefragt, wie das Leben mit Hiller in diesen schweren Monaten war. Sie sagt, dass er kaum je unausstehlich war, dass er ruhig und ein angenehmer Mensch blieb.

Angesichts der Leidensgeschichte und dieser speziellen Situation als Spitzensportler, in der man darauf trainiert ist, jede Chance sofort zu packen, weil es vielleicht nur ganz wenige in der ganzen Karriere gibt, ist eine solche Haltung doch äusserst bemerkenswert.

Wie oft haben wir selbst Situationen, in denen wir mit unseren Umständen hadern? Die Zeit läuft uns davon, weil wir wegen äusseren Hemmnissen nicht realisieren können, was wir doch zu leisten im Stande wären. Wir erleiden Rückschläge, die wir alle objektiv gesehen nicht verdienen. Der Hader könnte uns leicht zerfressen. Manchmal. Und dann? Unsere Liebsten bekommen es zu spüren. Wo denn sollten wir sonst den Frust ablassen!
Was Jonas Hiller in dieser Situation ausstrahlt ist eine ganz besondere Form der Gelassenheit, die überhaupt nichts mit Fatalismus zu tun hat. Aber ganz offensichtlich ist er bereit, sich in seinem Leben immer ganz einfach zu fragen, was als Nächstes getan werden kann. Ein besonderes Talent ist eine Gabe – ohne jede Garantie. Täglich damit zu arbeiten, kann und soll befriedigend sein. Tritt der Erfolg ein, hat man dafür vieles getan – aber “verdienen” kann man ihn nicht. Es braucht immer das Geschick der behüteten Umstände. Und welcher Art die Lehren auf dem Weg sind, die wir zu akzeptieren haben, weiss niemand voraus zu sagen. Jonas Hiller wäre es zu wünschen, dass er diesen harten Weg zurück dank seiner Ruhe gehen kann. Amerikaner und Kanadier lieben solche Heldengeschichten.
Hiller aber wird wissen, dass die bestandenen Erfahrungen in keinem Fall vergeblich sind. Das Leben dauert weit über eine Spitzensportkarriere hinaus.


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