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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom Kinderwunsch zum Beruf - eine Art kalter Wandel

∞  2 September 2014, 22:38

Vom Kinderberufswunsch zum Ausbildungsplatz ist es ein weiter Weg, auf dem Träume, werden sie denn überhaupt noch geträumt, wohl immer schneller aufgegeben werden (müssen).

Ich sehe ein Plakat einer Kinderhilfsorganisation. Darauf wird einem – natürlich – äusserst niedlichen kleinen Mädchen der Satz in den Mund gelegt: “Ich möchte Lehrerin werden.”

Mich lässt dieser Eye-Catcher über die veränderten Kinderträume bei uns reflektieren. Haben Kinder heute noch ihre Traumberufe? Wie lange hält sich heute noch die romantische Vorstellung, in einem respektablen Beruf sinnvolle Arbeit tun zu können – bevor die Notwendigkeiten des Ausbildungsmarktes Realismus einfordern.

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Ich kann mir nur vorstellen, aber wohl nicht erfassen, wie sehr sich die Kinderwelt innerhalb von einer, höchstens zwei Generationen komplett verändert hat. Und die honorigen Berufe, die früher erträumt wurden – die Lehrerin, der Arzt? Die damit verbundene Autorität einer Respektsperson – sie hat doch sehr abgeschlafft. Wir haben denn auch oft Lehrermangel – und so mancher will sich die Maloche nicht mehr antun, sich ständig nicht nur mit viel unruhigeren Kindern herum zu schlagen, sondern vor allem mit deren Eltern, welche ständig den Verdacht hegen, gerade ihr Kind werde zu wenig gefördert.

Die Kostbarkeit einer guten Ausbildung mag in der Wechselwirkung die Ansprüche der Eltern ein kleines Stück weit erklären, befremdend wirkt der Wandel auf mich trotzdem. Und er setzt sich ja weiter fort. Auch die Arbeitsverhältnisse haben sich drastisch geändert. Nicht nur sehen viele Arbeitnehmer heute in ihrem Unternehmen den Verdienst sehr viel mehr als früher als zentrales Element – die Unternehmen selbst erwarten gar nicht mehr Loyalität: Sie kaufen sich Wohlverhalten und Einsatz auf Zeit und rechtfertigen 120% Engagement mit der Lohntüte.

Und das alles, werden alle Diskussionsteilnehmer zum Thema nicht müde zu betonen, ist auch völlig in Ordnung. Wir fordern Leistung und bekommen dafür gutes Geld. Und bei einem besseren Angebot ziehen wir weiter – oder werden umgekehrt wegorganisiert. Der Mensch ist genau so zur Ware geworden, wie die Firma allenfalls noch dann mit Treue rechnen kann, wenn sie Prestige verspricht.

Wir reden von Leistungskultur, aber im Grunde ordnen wir dem Leistungsanspruch alles unter. Wer zahlt, befielt gilt mehr als je zuvor. Und was machen wir dann mit dem verdienten Geld? Sparen? Das will der Staat nicht. Er braucht Wachstum durch Konsum. Es ist der gleiche Staat, der die Altersversorgung seiner Bürger in Frage stellt und mehr Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge von ihnen einfordert – in einem Zinsumfeld, das er selbst tief halten muss, um nicht bankrott zu gehen. Wir leben in einer ziemlich queren Welt, in der in Politik und Gesellschaft manches Element der Ethik verloren gegangen ist.

Mit dem Ausspruch “Gott ist tot” einher geht die Tatsache, dass wir als Gemeinschaften nach und nach eine ganze Menge an Werten aufgegeben haben. Ich kenne kaum jemanden, der die Entwicklung in diesen Fragen nicht beunruhigend findet – und ich kenne kaum jemanden, der deswegen politisch oder sozial aktiver würde – denn an was es heute am meisten fehlt, ist der Glaube an Ideen – und die Wahrnehmung neuer Modelle des Zusammenlebens.