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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom Hochmut zur Demut ist es noch ein weiter Weg

∞  21 Januar 2013, 22:35

istockphoto.com/Sparky2000




Lance Armstrong ist kein Opfer. Was auf ihn nieder prasselt ist nicht zuletzt die Häme jener, die gern weggesehen haben – und vielleicht gerade deswegen von Lance Armstrong nichts als heimliche Verachtung erwarten konnten. Denn die Welt, so glaubte Armstrong, will betrogen werden. Und hätte der Amerikaner mit weniger als Allem zufrieden sein können, so wäre wohl alles “gut” für ihn gegangen.

Der Fall des Supermannes Lance Armstrong ist Thema auf den Strassen und in den Kneipen. Zumindest wird so manchem in diesen Tagen ein Mikrofon zu diesem Thema unter die Nase gehalten – und Radsportinteressierte füllen Foren und Diskussionsrunden mit kontroversen Stellungnahmen. Darunter sind auch Meinungen mit diesem Grundtenor:

Die Leistung ist auch so eine unglaubliche.
Niemand fährt ja wirklich sauber.
Jetzt zupft man sich wieder ein Opfer heraus – und das System bleibt unbeschadet und so undurchsichtig wie zuvor.
Was er für seine Stiftung geleistet hat, wie er mit seiner Autobiographie vielen Menschen Mut gemacht hat, den Wettbewerb des Lebens wieder anzunehmen, ist grossartig.


Lance Armstrong hat gedopt. Er hat keine Variante eines möglichen leistungsfördernden Dopings ausgelassen – nach überstandener Krebsbehandlung schon gar nicht. Er hat manipuliert, getrickst und ein ganzes System mit persönlichen Kontakten und Gegenleistungen aufgebaut und unterhalten – und mit seinen Adlaten dafür gesorgt, dass es keine Ausscherer gab. Es ist nicht so sehr unser aller Problem, dass Armstrong auch beschissen hat – es ist die Art, wie er diesen Betrug plante, umsetzte und institutionalisierte – mit einer Haltung, die dem Konstrukt der eigenen Heldenverehrung alles unterordnete – und dazu führte, dass ein einzelner Mann glaubte, er könne die ganze Welt an der Nase herumführen und ihr diese Nase dabei auch noch lang drehen. Armstrong gibt damit nicht nur für vom Krebs Geheilte das Bild eines Menschen ab, der ohne die absolute Anerkennung seines ganzen Umfelds nicht leben kann, er wird als Moralist entlarvt, der nicht nur betrog, sondern dabei auch noch so tat, als wäre er ein Vorkämpfer gegen die Tricksereien, die er selbst betrieb. Mehr Falschheit geht nicht, mehr Überheblichkeit und Geringschätzung für die Fans auch nicht.

Mit Lance Armstrong ist jener Mann gefallen, der seinerseits keinen Aufwand scheute, aggressiv gegen jeden vorzugehen, der ihn zu beschuldigen drohte, und er hat dabei kein Mittel gescheut und jeden Einfluss geltend gemacht, diese Personen zu diskreditieren, sie vor Gericht zu zerren.

Ich habe nie verstanden, dass auch ausgewiesene “Gümmeler”, Radsportverrückte, nicht erkennen wollten, welches Regime dieser Hero im Fahrerfeld aufzog, dabei war offensichtlich, dass es zuvor, trotz eines Bernard Hinault, nie einen Fahrer gegeben hat, der so autoritär über das Verhalten ganzer Fahrerfelder bestimmte, wie Lance Armstrong. Ganz offensichtlich fürchteten alle, dass ein Aufmucken dazu führen würde, dass die eigene Karriere in Gefahr geraten könnte. Ich kann mich an die Tour de France 2004 erinnern. Der Italiener Simeoni hatte im Rahmen eines Doping-Prozesses gegen den Arzt Michele Ferrari ausgesagt, der ihn und auch Armstrong betreute. An der Tour unterband Armstrong mehrfach die Ausreissversuche von Simeoni, obwohl dieser fürs Gesamtklassement völlig ungefährlich war. Rächer Armstrong war unerbittlich und seine Botschaft unmissverständlich.

Wenn ein Mann, der weit länger als ein Jahrzehnt eine Sportart als Doper beherrschte und dabei keinen einzigen sauberen Sieg herausfuhr, jetzt sagen kann, eine lebenslange Sperre würde einem Todesurteil gleich kommen, dann beweist er, dass er in keiner Weise begriffen hat, welche Tragweite sein Verhalten hat. Dieser arme Teufel hat nur sein Rad und seine Sportutensilien, um dem ewigen Traum des nächsten Rekordes hinterher zu jagen und sich nur so wertvoll fühlen zu können – und genau das will man ihm jetzt nehmen. Wie armselig ist denn das, wie traurig, wie unglaublich einsilbig als Lebensschwerpunkt, und wie gefährlich für die Gesundheit wird das erst, wenn der Mann älter wird, als der Spiegel zeigen darf?

Hier will ein Mensch Nachsicht für eine Manipulation, die aus der Illusion Kapital schlug, ein Supermann zu sein. Ein Held des Sports, eine Lichtgestalt. Jede Legitimation war auf der Fiktion aufgebaut, eben sauber zu sein. Und da soll es eine andere Sanktion als eine lebenslange Sperre geben?

Wenn es nun Beobachter gibt, die tatsächlich meinen, man müsste Armstrong für seinen medial aufbereiteten Canossagang Respekt zollen, dann halte ich dem entgegen, dass Armstrong auch jetzt nur zugibt, was in keinster Weise mehr bestritten werden kann. Nach wie vor kein Wort über die Mediziner, die es in einem solchen System braucht, damit die menschlichen Räderwerke nicht zum falschen Zeitpunkt kollabieren, keine klaren Auskünfte über die Systeme in den Radsportgruppen, die Beziehung zur UCI – und natürlich schon gar nicht zu den Verbindungen in der Politik. Denn die Wechselwirkungen von Seilzügen in Schattengesellschaften ist das wirklich Letzte, was Lance Armstrong bleibt. Wenn er also zu etwas kein Vertrauen hat, dann in die Kraft der richtigen Botschaft und den Schutz durch Öffentlichkeit. Wahrscheinlich hat er damit nicht unrecht. Denn wir alle schieben Mutmassungen über Unlauterkeiten gerne als Nestbeschmutzungen von uns, wenn sie ein Liebkind unserer persönlichen Interessen betreffen.

Mit Sport bedienen moderne Gladiatoren unser Bedürfnis nach epischen Erlebnissen. Es wird weitere Lance Armstrongs geben. Nur wird wohl nicht jeder dabei so dreist sein, sich auch jenseits seiner engen Entourage als Taktgeber aufführen zu wollen. Lance Armstrong ist ein Ärgernis. Man muss ihn nicht bedauern. Aber wir sollten uns Gedanken darüber machen, was wir selbst dazu beitragen, dass es diese Armstrongs gibt, dass wir an das Unmögliche im Menschen, das Übermenschliche in Menschengestalt glauben wollen, während wir deklarieren:

Gott ist tot.