Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom ehrlichen fröhlichen und traurigen Ausdruck

∞  1 September 2010, 22:04

Als ich heute am späten Abend mich wieder einmal in der absurden Situation befand, die uns allen als Teilnehmer und Verursacher unserer scheinbar so fortschrittlichen Zivilisation viel zu bekannt ist, als ich also im Stau stand, hörte ich Radio. Ich meine, ich hörte da richtig Radio. Ich hörte zu. Grundsätzlich finde ich ja, man sollte am Radio viel mehr reden und nicht nur Musik spielen. Dass ich mich da völlig am Trend vorbei bewege, ist mir sehr wohl klar, aber es gibt eigentlich nichts Schöneres, als ein paar gescheite Sätze geschenkt zu bekommen, während man durch die Gegend ruckelt. Den bösen Satz, dass das mit dem “Gescheit” wohl der Grund ist, dass besser Musik gespielt wird, gilt hier nicht. Es gibt ja auch, nur so zum Beispiel, Hörbücher.

Nun, ich hörte also Radio. Die Rede war vom Schweizer Clown Dimitri und von dessen grundsätzlicher Frage, ob Clownerie angesichts des Leids in der Welt überhaupt noch statthaft wäre und es nicht angebracht sei, den Schabernack zu lassen. Die Frage düfte ihn nicht zum ersten Mal beschäftigt haben. Und nicht zum letzten Mal. Es mag viele Menschen geben, die sich mit einer ähnlichen Frage mit ihrem Tun ein wenig kapriziös in den Mittelpuntk stellen mögen. Wie das hier ist, weiss ich nicht, aber es wäre nicht fair, solches zu vermuten. Denn eigentlich geht es um den alten Künstlerkonflikt, sobald Humor, in welcher Form auch immer, ins Spiel kommt. Die angezweifelte Verflachung, die den Lacher sucht oder zumindest gerne hin nimmt, wird verdächtigt, das eigentlich doch Schlimme zwischen und in uns nicht sehen zu wollen. Dabei ist guter Humor, gar in künstlerische Form gekleidet, tatsächlich DAS künstlerische Sinnbild für die Zerrissenheit zwischen Ausdruck und Gefühl: Es gelingt einerseits nie, wirklich auszudrücken, was man fühlt, zumindest nicht so, dass man wirklich glaubt, verstanden zu werden (oder sich selbst zu verstehen), und will man als ernsthafter Mensch sich anderseits mit dem Humor verbrüdern, so ist es, als würde man die Unmöglichkeit des wahrhaften inneren Ausdrucks akzeptieren und ob der grossen Last der grauen Wolken den kleinen Sonnenschein im spontanen Lacher wecken wollen: Der Clown, sagt man, ist meist ein trauriger Mensch. Und doch ist er in seinem Tun genau deswegen nicht falsch. Denn was er tut, um mich und sich seine und meine innersten Gedanken aushalten zu lassen, ist dem eigenen Gefühl abgerungen. Eine solche Clownerie kann nie so plump sein, dass sie nicht doch auch poetisch wäre.

Wir alle tragen unsere Last mit uns. In einem einzigen Bahnabteil werden Tonnen von schweren Lasten unsichtbar mitgeführt. Wir haben Kollegen, die immer gut drauf sind, wir kennen jemanden, der Depressionen hat, wir wissen um den Spassvogel und um das stille Wesen. Wir fühlen uns in der Gegenwart eines Menschen mehr oder weniger wohl, weil die Art, wie er zu sein scheint, mit dem gut harmoniert, wie ich gerne bin. Nur nach aussen?

Ich begegne ihm mit meiner Laune, meiner Stimmung, und je nachdem, wie ausgeglichen ich bin, was mein Charakter ist oder – auch das – wie entschlossen ich bin, eine Not die meine bleiben zu lassen und sie also für mich zu behalten, bin ich dabei mehr oder weniger so, wie ich erwartet wurde. Weil man “mich kennt”.

Wenn man aber um die gesundheitlichen Probleme eines Menschen weiss, so ist dessen gute Laune je nachdem eine Erlösung für seine Umgebung, oder eine Botschaft, was er eben nicht zu teilen bereit ist. Es ist nicht schwer, einem solchen Menschen in Gesellschaft zu begegnen, und es ist diesem Menschen leichter möglich, sich nicht ausgegrenzt zu sehen. Gerade aber habe ich erzählt bekommen, wie es ist, oder sein kann, wenn ein Spassvogel stirbt. Da kann es sehr still werden, weil kein Wort mehr passt. Das tut es zwar nie, aber hier entsteht eine Situation, in der so manche frühere Kameraderie sich plötzlich spröde und brüchig anfühlt…

Ich habe vor vielen Jahren eine Frau kennen gelernt, die in jeder Gesellschaft gern gesehen wurde. Denn es kam schlicht nicht vor, dass diese Person nicht “gut drauf” war. Egal ob im Gespräch oder im Spiel, da war immer viel Spass dabei und eine einnehmende Gestik, die einen gerne noch ein bisschen sitzen bleiben liess. Diese Kollegin sass nie allein an einem Tisch. Aber ich glaube, dass sie niemand kennt.
Dazu passt ein Phänomen, das ich, so extrem, nie mehr erlebt habe:
Ich habe manchmal bei einem Anlass eine Kamera dabei oder fotografiere auch mal in einer Gesellschaftsrunde, so lange ich das Gefühl habe, für meine Umgebung nicht wriklich zum Stressfaktor zu werden. Diese eben beschriebene Frau ist die einzige Person, bei der es mir nie gelungen ist, ein vernünftiges Bild zu knipsen. Ich habe es nie geschafft, einen natürlichen Gesichtsausdruck festzuhalten. Da kam immer eine Grimmasse heraus. Das Verblüffendste war, dass sie sich völlig unbeobachtet fühlen konnte – es schien einen inneren Reflex zu geben, eine Wahrnehmung, die sofort auf Alarm stellte, wenn Beobachtung drohte. Und auf Produktion. Camouflage total, als Lebenskonzept.

Wir sind alle allein. Früher oder später müssen wir einen Weg allein gehen. Ob wir dabei auch einsam sind, entscheidet sich aber auch mit der Fähigkeit, mit jemandem über diese Tatsache reden zu können. Dabei muss ich gar nicht mit diesem düsteren Gedanken aufhören. Es gilt das Gleiche bei jedem Problem, das umtreibt. Gibt es genügend Menschen, denen ich auf die Frage “wie geht es dir?” gerne eine ehrliche Antwort gebe?

Und wenn meine Antwort negativ ist – woran liegt das? An diesen Menschen, oder an mir? Wie suche ich mir “meine Gesellschaft” aus, und warum?