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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vegetarier oder nicht - als ob das die Frage wäre

∞  23 Juni 2014, 17:53


istockphoto.com Holsteiner Kühe, fotografiert von bizoo_n

Knapp nach der Jahrtausendwende waren die Randerscheinungen rund um die in Europa an verschiedenen Orten ausgebrochene Maul- und Klauenseuche für uns der Grund, zu Vegetariern zu werden. Der Entscheid hatte keinerlei religiöse Motive. Er war und ist schlicht aus der Einsicht entstanden, dass wir Menschen, wollen wir auch betreffend der Nahrungskette immer und überall alles zur Verfügung gestellt bekommen, was uns mundet, und zu immer günstigeren Preisen, eine immense Belastung für die Umwelt darstellen.

Die natürliche Ressourcen reichen für sieben Milliarden Fleischfresser nicht aus, der Bedarf an Kulturland für die Produktion dieser Massen ist schlicht zu gross. Und der Wettbewerb um die Kunden wird zu immer ausgefeilteren Produktionsmethoden führen, denn in letzter Konsequenz wird der Mensch als Masse nicht Biofleisch verlangen, sondern überhaupt Fleisch: Wir passen unsere Statussymbole weltweit alle dem gleichen Standard an und wollen alle den westlichen Lebensstil pflegen. Nichts ist uns so wichtig an der Ernährung wie das dicke Steak oder das saftige Filet – und dieser Trend macht nicht bei den Kulturgrenzen Halt, wie leider auch das Beispiel mit der Milch zeigt:

Die Zeit ist noch nicht lange her, da war man überzeugt, Asiaten würden nie zu Milchprodukten greifen, ja man glaubte, sie hätten eine natürliche Laktoseintoleranz, die ihnen diese Nahrung unverdaulich werden liesse. Weit gefehlt. Es gilt in China immer mehr als chic, Milch zu konsumieren, was die westliche Milchindustrie natürlich noch mit riesigen Werbekampagnen fördert.

Diese Industrie entwickelt die Produktionsmittel weiter: Man vergleiche nur heutige Kuheuter mit jenen vor dreissig Jahren und führe sich die heutigen “Milchleistungen” zu Gemüte. Alles Gründe, nicht nur Vegetarier zu werden, sondern Veganer. Das aber entspricht überhaupt nicht unseren Ernährungsgewohnheiten und -gepflogenheiten, und mir graut davor, gesellschaftlich dann noch mehr eingeschränkt zu sein. Denn schon als Vegetarier ist es nach wie vor ausserordentlich schwierig, am gesellschaftlichen Leben mit auswärts Essen teil zu nehmen. Ein Grossteil meiner Bekannten vernimmt freundlich, dass ich Vegetarier bin, verkündet dann eifrig, dass “man” auch nicht immer Fleisch essen müsse, um dann aber bei jedem Fest von einem Buffet in erster Linie das Edelfleisch zu erwarten – und den Preis fürs Buffet daran zu messen. Absolut unattraktiv ist der Preis in jedem Fall für Vegetarier – denn auf eine vernünftige Auswahl für Angehörige dieser Ernährungsform wird weiss Gott kaum je geachtet. Und immer kann man die gleichen Missverständnisse aus der Welt räumen, auch heute noch, sogar bei Ernährungsberatern ist das teilweise noch nicht “drin”: Nein, Vegetarier essen keinen Fisch. Wer keinen Fisch ist, ernährt sich fleischlos, aber nicht vegetarisch. Und entscheidend ist schon gar nicht die Unterscheidung zwischen rotem und weissem Fleisch. Um noch rasch beim Fisch zu bleiben:

Lange war es chic, Lachs aus der Zucht zu kaufen statt aus dem Wildfang, weil das die Bestände schonen würde und man damit den Diskussionen über den Beifang ausweichen konnte – heute weiss man, dass die Überdüngung der Meeresbecken, in denen dieser Lachs gehalten wird, zum kompletten Absterben dieser Meeresgründe führte. In allem und zu jedem Aspekt der Ernährung lässt sich daher folgendes sagen:

Wir sollten, was auch immer wir an Nahrung für uns auswählen, bewusst und dankbar geniessen – und Mass halten. Und wir sollten jeden ohrfeigen, der einen halb vollen Teller im Restaurant zurück gehen lässt, womöglich noch mit der zerknüllten Papierserviette oben auf den “Resten”. Diese Militanz würde ich mir wünschen, jede andere ist verfehlt. Und Fleischesser sollten so ehrlich sein, sich einzugestehen, dass sie nach wie vor fast gänzlich überfordert sind, wenn sie ihre gesellschaftlichen Essen an Vegetarier anpassen “sollten”, geschweige denn an Veganer.

Ich habe es gerade so sehr satt, daran zu denken, was ich alles für mich gestrichen habe, weil ich mich auswärts nicht mehr ärgern will. Das betrifft auch den eigenen Sportclub: Pfingstbrunch? Ohne mich. Ich mag nicht unter 15% des Angebots auswählen. Sommernachtsfest? Eine Grillparty. Logisch. Denn vegetarisch kochen ist viel aufwendiger. Ich bleibe lieber zuhause. Und koche selber. Und tröste mich an einem Aspekt, den ich allerdings sehr deutlich an mir selbst nachvollziehen kann:

Ich geniesse Essen eigentlich viel mehr als früher. Und ich verdaue es viel besser. Ich muss nur viel mehr selbst dafür tun. Aber man kann mir vorhalten, dass ich ja eigentlich mit meinem Entscheid genau das wollte: Bewusster leben. Und dafür auch etwas in kauf nehmen. Auch eine Art Verzicht. Auch wenn mich das ärgert und mich von manchem netten Abend mit Kollegen fern hält. Und ich bin dazu angehalten, denn die Maul- und Klauenseuche trifft auch nächstes Mal durchaus Elemente meiner Nahrungskette, da ich auf Milch und Käse nicht verzichten kann und will. Aber ich kann dazu beitragen, dass wir den Respekt vor den Tieren, die uns ernähren, nicht verlieren.