Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unter Älteren und mit Jüngeren

∞  20 Juli 2009, 20:34

In diesen Tagen ist mein Leben sehr reich. Alles wirkliche Leben ist Begegnung, heißt es. Und ich will hinzu fügen: Je weniger Grenzen diese Kontakte haben, je mehr die Neugierde über unnötige Vorbehalte siegen darf, um so reicher können diese Begegnungen sein.

In den aktuellen Erlebnissen liegt mein Extragewinn im Austausch unter den Generationen. Das Alter zwischen vierzig und fünfzig hat die Eigenart, dass mich Mitmenschen oft daran erinnern, dass ich der Jüngere oder eben der deutlich Ältere sei – während ich selbst mir dessen im Moment gar nicht bewusst bin.
Sie sitzen am Tisch, und Ihr Gegenüber macht Sie darauf aufmerksam, dass er Ihr Sohn sein könnte, worauf Sie einen Moment zögern – und dann spüren, dass Sie soeben eine verdächtige Sekunde zu lange den Mund nicht zu gekriegt haben. Umgekehrt spüren Sie Ihre Knochen sehr wohl und gewinnen ein sehr lebendiges Gefühl für die positive Lebenseinstellung, die sich ältere Menschen bewahren – oder gar ganz neu erarbeiten. Gegen die ansteckende Freude, die mein älterer
Tennispartner bei seinem Sport versprüht, hat kein Grau eine Chance, das ich allenfalls mit auf den Tennisplatz geschleppt habe.

Dass ich von älteren Menschen väterlich oder mütterlich in den Arm genommen und praktisch schon fast in deren Kreis willkommen geheißen werde, irritiert mich nur kurzfristig – und kann ich vorläufig noch auf meine vorzeitig ergrauten Haare schieben. Jenseits aller Koketterie liegt darin für mich ein Schatz an Erfahrung und Wissen, den ich entdecken darf.

Im Internet fällt die Überwindung solcher künstlichen Grenzen leicht – denn oft ist in einem Mailkontakt, in Blogs oder Foren das Alter des Diskussionspartners gar nicht bekannt – und ganz erstaunt mag man feststellen, dass es oft während längerer Zeit auch kaum von Interesse ist – und wenn man dann danach fragt, die Auskunft die Neugier höchstens noch verstärkt, statt dass sie erlöschen würde.

Und so durfte ich in diesen Tagen Menschen mit reicher Berufserfahrung (neu) kennen lernen, Wesensverwandtschaften unter uns entdecken und mich der Tatsache ergeben, dass, wenn meine eigenen geschriebenen Worte für einen Menschen mit einem Mehr an Lebenserfahrung dennoch Bedeutung haben, dies ein ganz besonderes Kompliment darstellt. Es ist mehr als ein Kompliment: Reife Menschen können eine zeitlose Frische ausstrahlen, wenn sie in sich ruhend ihr Wissen mit einem teilen. Ein Mensch, der zur Ruhe kommt und dies in der Hektik der Gegenwart zum Ausdruck bringen kann und sich dieser Welt im Jetzt öffnet, ist ein Pol, ein Magnet, eine Kraftquelle, die bezaubern kann und eine Form von Trost verheißt: Wir können immer weiter lernen – es ist kein Privileg jüngerer Generationen oder „der anderen“ – und wir können zufrieden werden.

Gleichzeitig lehren mich zur Zeit reife Menschen, das Glück eines frischen Sommertages zu genießen. Sie sitzen mit mir an einem Tisch, wir haben ein frisches Bier vor uns, das im Glas perlt, und es ist in dieser Gesellschaft einfach nicht möglich, _nicht_tief durchzuatmen und die Beine auszustrecken. Die Tageszeitung ist uninteressant. Sie liegt achtlos hingeworfen auf dem leeren Stuhl daneben. Hingegen freue ich mich am fröhlich geblümten Muster des Tischtuchs, über das die Schatten der Bäume tanzen. Ich sehe ihnen zu, während wir uns wilde Geschichten aus den Ferien erzählen – von Orten, an denen wir uns genau so wohl gefühlt haben wie jetzt hier, praktisch vor der eigenen Haustür.

Und inmitten des kontemplativen Segens dieser Art Anschauungsunterricht für das entschleunigte Leben und intensivere Erleben begegne ich einem jungen Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hat, mich in die Kunst des Schreibens von Dialogen einzuweisen. Für ihn bin ich der Ältere und Erfahrene, ist meine Gelassenheit gefragt – und gleichzeitig schubst er mich an und ermuntert mich, etwas zu versuchen, was ich ohne seinen Antrieb nie versucht hätte. Und so sitze ich nun hier mit einem Gefühl, dass ich so gut wie wohl noch nie verstehen kann, welchen Wert mein eigenes Leben für Junge und Alte haben kann, in seiner Fülle wie in seinen noch fehlenden Erfahrungen. Ich darf jederzeit und überall meinen Idealismus prüfen und testen, in der Gegenwart von Menschen, die jeden frischen und positiven Gedanken nicht brechen wollen. Sie wollen zuhören, nachdenken, mitreden, zum Bedenken geben, Frieden suchen oder ihn teilen.

Leben wir den Sommer. Teilen wir die Entdeckungen. Suchen wir die Ruhe. Und ehren wir, was ist, statt dass wir reklamieren, was fehlt. Je länger wir leben, um so reifer möchten wir in dieser Kunst doch werden.




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