Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unsere Moral im Tank

∞  16 März 2011, 08:19

Ob Sprit, Diesel, Ethanol oder E10 oder Strom aus der Batterie oder der Steckdose. Unsere geliebte Mobilität schafft Sachzwänge, die wir viel zu wenig hinterfragen, und die uns Risiken in Kauf nehmen lassen, für die wir einen hohen Preis zahlen. Ganz offensichtlich.


Die aktuellen Ereignisse haben das Thema wieder in den Hintergrund gerückt, aber das wird nicht andauern, mal abgesehen davon, dass Elektrizität als Energiequelle für Mobilität auch nicht mehr blütenrein dasteht. Es wäre in der Tat nicht verwunderlich, wenn die (deutsche) Autoindustrie darauf – mit ein bisschen Atempause, der Pietät wegen – noch so gerne hinweisen wird. Das Theater um die Einführung des Biotreibstoffs E10 in Deutschland lässt sich aber eindeutig auf den Umgang der deutschen Politik mit der Autoindustrie zurückführen, genauer: Auf den besonderen Status der Unantastbarkeit, den das Auto im Gebrauch beim deutschen Benutzer und in der Produktion in Wirtschaftskreisen hat.

Die Autoindustrie beherrscht die Industriepolitik in Deutschland wie kein anderer Produktionszweig, und das führt zu immer wieder einschneidenden Regelschritten, wenn unter dem Gluckenschutz des Bundeskanzleramts mal wieder ein Trend verschlafen wird. Kein anderer Industriezweig hätte eine Abwrackprämie in diesem Ausmass durchsetzen können, nur so zum Beispiel.

Deutsche Autos sind schnell, sind gross, sind schwer – und dürfen und sollen daher auch teuer sein. Was dazu führt, dass die Entwicklungen, welche sich ernsthaft um möglichst wendige Mobilität für möglichst Viele bei möglichst wenig Emissionen bemühen, natürlich nicht aus Deutschland kommen. Denn deutsche Autos sind auf der Autobahn wendig, weil man schnell an anderen vorbei kommt. Steht man damit im Stau, scheint das immer noch irgendwie zu trösten.

Diese Ausrichtung hat dazu geführt, dass Deutschland die Entwicklung der Hybridtechnik komplett verschlafen hat. Und nun, wo man nachzieht, wird die Technik ad absurdum geführt – für mehrere hundert PS starke Ungetüme – während andere Marken wie Toyota und Renault im Bereich der Elektroautos bereits wieder weit vorausliegen.

E10 nun ist die direkte und scheinbar raffinierte weil bequeme Antwort der Industrie auf einen besonderen Kniff, mit dem die Regierung den europaweit gültigen Mittelwert von 120g CO2-Ausstoss pro Fahrzeug für Deutschland auf 130g anhob – um die CO2-Bilanz schlaumeierisch mit einem Treibstoff zu schönen, der immerhin 10% Biosprit enthält.

Wer auch immer kein Problem damit hat, sich vorzustellen, Nahrungsmittel in den Tank zu schütten, in einer Zeit, in der die Anbauflächen infolge Wasserknappheit und steigender Wohnbevölkerung immer knapper werden, dem sei folgendes Beispiel einer Energiebilanz von der Zeitung DIE ZEIT vorgeführt:
Ich schenke Ihnen einen Zentner Getreide. Sie können dessen Energie nun wie folgt für sich nutzen:

Sie ernähren sich davon zweieinhalb Monate und können damit rund 400 Stunden arbeiten, und am Abend noch ein paar hundert Kilometer joggen. Oder
Sie stellen daraus Ethanol her und betanken einen Mittelklassewagen, um von Hamburg gen Süden zu fahren. Sie kommen etwa bis Hannover. Dann ist der Tank leer.
[Dirk Assendorpf und Christian Tenbrock in der ZEIT, Printausgabe 11/2011, 10. März, Seite 24; Titel: “Ein Sack Weizen bis Hannover”]

Wenn wir über Ereignisse wie die Atomreaktorkatastrophe in Japan klagen und uns erschrecken, dann können wir für die Art, wie wir unsere Energie zukünftig hergestellt sehen wollen, zu verschiedenen Schlüssen kommen. Wie wir diese Energie aber verbrauchen wollen, bleibt vor allem anderen die uns jeden Tag persönlich gestellte Frage. Und wenn wir sie nicht stellen sondern immer und jederzeit nur die Interessen einer auf Verschwendung aufgebauten Industrie schützen, weil sie uns mit dem Verlust von Arbeitsplätzen unter Druck setzt, dann machen wir uns mitschuldig an den „Sachzwängen“, die erst Ereignisse wie in diesen Tagen möglich machen.