Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unsere flüchtige Empörung ohne Identität

∞  2 Juli 2013, 14:16

Wahrscheinlich wäre es auch Ihnen ein Leichtes, folgende Aufgabe zu lösen:
Nennen Sie drei Ihnen skandalös erscheinende Vorgänge in Ihrem Heimatland, die einen destabilisierenden Einfluss auf die Gesellschaft haben.

istockphoto.com/koun

Sie werden wohl genau so wie ich meinen, dass es davon immer mehr gibt. Gültig ist leider auch die Aussage, dass wir uns darüber früher viel mehr aufgeregt haben als heute – oder uns zumindest in der Konsequenz auch entschieden protestierend zu Wort gemeldet haben.

Es frustriert mich denn auch nicht so sehr das Ausmass der zu Tage tretenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Skandale, sondern die Trägheit, mit der wir, die Gesellschaft, diesen Nachrichten begegnen. Wir sind als Gemeinschaften wie als Einzelpersonen kaum mehr zu mobilisieren, und ich frage mich, woran das liegt?

Ganz eindeutig ist es so, dass nicht nur die Zahl der tatsächlichen Ereignisse in diesen Kategorien zugenommen haben. Auch die Berichterstattung hat sich verändert – im Einzelfall genau so wie in der Summe: Die Zahl der Medien und deren Schnelligkeit ist genau so gewachsen wie sich die Haltezeit der Inhalte verkürzt. Die Nachrichten über Missstände und Skandale kommen und gehen, wie wabernde Duftschwaden aus einer schlecht gewarteten Fettkombüse in einem Restaurant. Was bleibt ist der schale Grundgeruch, den wir alle kaum mehr aus den Kleidern bringen.

Vereine haben es immer schwerer, ihre Mitglieder für gemeinsame Unternehmungen zu begeistern, für Anlässe zu mobilisieren. Wie könnte es anders sein, wenn wir in dumpfer Apathie grassierende Jugendarbeitslosigkeit, Misswirtschaft in der euorpäischen Gemeinschaft, vorangekündigte Haftbarmachung von Sparern für Fehlmanagement “ihrer” Banken, Bespitzelung der Bürger für deren Sicherheit, Manipulationen von Indizes der Finanzwirtschaft etc. zur Kenntnis nehmen:

Uns ist über das Kopfschütteln hinaus jeder gemeinsame, motivierende, Gestaltungswillen für den korrigierenden Eingriff ins marode System abhanden gekommen. Uns fehlt Identität. “Der Staat” ist ein abstraktes Konstrukt, und dessen Übergriffe gegen Bürger gehen uns nichts an, sobald wir gecheckt haben, ob die aktuelle Willkür uns selbst tangieren kann oder glücklicherweise nicht. Diese Gesellschaft muss sich nicht wundern, wenn der Staat zu ihrem Erzieher wird – und die Motivation dahinter immer jene der stärksten Gruppe mit dem ensprechenden Industriezweig dahinter ist.

Empört Euch? Wie geht das heute noch? Mit Shitstorms auf Facebook? Wikileaks? Blöglein wie diesem? Wo haben wir denn wofür noch den Biss, hartnäckig an einem Thema dran zu bleiben? Vielleicht also, kriegen wir genau das, was wir verdienen. Denn die Empörung über die Profiteure, die gerade deshalb mit uns Geld verdienen, reicht nicht aus zur Korrektur. Wir sind dann nur störendes Nebengeräusch, und das Zeitalter des Internets hat wohl mehr Mechanismen geschaffen, die helfen, diese Geräusche zu einzelnen Pupsern zu zerfleddern, als dass Menschen sich tatsächlich dauerhaft zusammenschliessen würden.

Dafür bräuchte es Werte, Ziele, die gemeinsam priorisiert werden. Aber unsere Welt bietet so viele Interessen, Themen, Unternehmungsmöglichkeiten, dass jeder zum individualistischen Einzelgänger wird, so bald er nur im Ansatz den Verdacht zulässt, ansonsten womöglich etwas Grundlegendes in seinem Leben verpassen zu können.

Genau so verpassen wir unsere Zukunft als Mitwirkende an der Gestaltung unserer Gesellschaft.