Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unsere Buddha-Romantik

∞  12 Juli 2012, 15:44

Unser Informationszeitalter beschert uns ein reiches Sammelsurium an Information – und daraus schöpfen wir viel Halbwissen, über dessen Gehalt wir uns selbst am wenigsten im Klaren sind.

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Wie werden wir denn überhaupt informiert? Bleiben wir mal erst bei der Politik. Das vielleicht unverfänglichere Thema als jenes, auf das ich oben schon anschneide… Unsere Nachrichten sind voll von Berichten über die weite Welt. Keine Ecke, die nicht ausgeleuchtet wird, könnte man meinen. Wir diskutieren über den Afghanistan-Krieg, die Konjunkturaussichten von Indien, die Wahlen in Ägypten – und immer, wenn wir das tun, halten wir uns für informiert.

Wie weit her es mit dieser Qualität an Information ist, kann man erahnen, wenn man selbst im Ausland unterwegs ist und da Artikel über das eigene Land vorgesetzt bekommt. Selten bis nie wird man nicht den Wunsch verspüren, es würde anders oder breiter informiert oder ein zusätzlicher Aspekt aufgeführt. Oder denken wir an die Zeit von Tschernobyl zurück, als westliche Touristen aus Übersee Europa “wegen der Verseuchung” mieden. Ich möchte Sie zudem vorwarnen: Auch hier werden Sie nicht ausgewogen informiert. Hier erst recht nicht. Das beginnt schon bei der Themenwahl, die meinem ganz persönlichen Lustprinzip folgt. Mehr oder weniger ausgeprägt ist aber jede Publikation ein Ego-Trip. Man setzt jedem Text eigene Wertungen vorneweg, trifft Auswahlen – und enthält damit Überlegungen und Aspekte vor. Also müsste jeder Leser, Hörer oder Zuseher eine Fülle an Berichten zum gleichen Thema sammeln, um nur einigermassen dem Prinzip der Ausgewogenheit folgen zu können. Dass wir alle dies nicht tun, brauche ich nicht zu betonen…

Sehr viel anders ist es aber auch nicht, wenn wir uns mit unseren Lebensfragen beschäftigen und dafür Bücherempfehlungen studieren – und diese Bücher dann auch lesen: Wir sind in unserer Aufnahmefähigkeit determiniert durch die Sprache, die uns in ihren Formulierungen und Bildern entsprechen muss – und ganz besonders vom Reifeprozess abhängig, in dem sich unsere eigenen Lebensanschauungen befinden. Wir stellen die Sinnfragen alle aus einer ganz persönlichen Situation heraus, und wir lehnen Formen und Botschaften auf Grund eigener Erfahrungen ab oder fühlen uns von ihnen angezogen, lange, sehr lange, bevor wir sie sachlich ein erstes Mal prüfen. Wie schwer es ist, im Patchwork der angebotenen Lebensweisheiten und -Entwürfe so was wie den gangbaren persönlichen Weg zu finden, können alle bestätigen, die sich eines Tages nicht länger unter die Autorität einer Religionslehre stellen wollten – oder so was nie angenommen haben. Wie oft wird man sich falscher Annahmen in seinem eigenen Leben bewusst? Wie schmerzlich sind solche Prozesse? Und wie schwierig ist es, in einer fremden Lehre aus einem anderen Kulturkreis wirklich heimisch zu werden? Wir sollten uns alle bewusst sein, dass wir in den Anziehungskreis neuer Lehren mit der Prägung der eigenen Kultur und Lebensgeschichte geraten, und dass die Faszination des anderen oft eine Hoffnung enthält, es möge alles leichter und freundlicher sein, als man es bisher erfahren oder vorgebetet bekommen hat.

Ich kann immer wieder hören und lesen, wie viel Mühe Menschen die Autorität macht, welche die Repräsentanten von Religionen für den Wahrheitsgehalt ihrer Botschaft erheben. Monotheistische Glaubensrichtungen, welche die Hinwendung der Gläubigen zu einem bestimmten Gott fordern und davon dessen Erlösung abhängig machen, werden abgelehnt, weil sie zwischen Menschen unterscheiden, die gerettet werden können, und allen anderen, die verloren sind. Der Mensch wird als Sünder begriffen, dessen Leid nur durch Vergebung getilgt werden kann. Je nach Dogmatik wird dafür mehr oder weniger stringent Busse eingefordert und Menschen erklären die Vergebung… eine ungeheure Machtfülle tut sich da auf und alles, was einem freien säkularen Geist entspricht, will dagegen rebellieren. Menschen sind niemals frei von subjektiven eigenen Interessen und dem Bild, das sie von der eigenen Harmonie mit dem Universum haben – und sie sind auch niemals frei von einem Sendungsbewusstsein und vom Bedürfnis, ihre Überzeugungen in einem sozialen Kontext verankert zu sehen.

Noch nie war es gesellschaftlich so akzeptiert, diese Mechanismen abzulehnen und konfessionslos und ohne Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu leben und zu denken, wie man sich das selbst zurecht legen kann und will. Und noch nie war das Angebot an Esoterik so gross und bestand so viel Gelegenheit, mehr über andere Glaubensphilosophien zu erfahren – und darin auch zu praktizieren. Nur leider ist auch hier diese Fülle viel komplexer als das, was wir davon aufnehmen könnten. Und wenn wir meinen, unsere ganze bisherige Geschichte im Glück einer neuen Sinnlehre ertränken zu können, wird unsere Seele sich immer wieder am Treibholz anschlagen, das wir mit uns führen – und das eben auch zu uns gehört.

Die Lehren des Buddhismus sind sehr populär bei uns. Kein Gott, der die alleinige Wahrheit kennt und von mir ein Bekenntnis verlangt. Stattdessen die Einladung, jede Aussage, jeden Teil der Lehre persönlich zu überprüfen: Selbst erkennen, was wahr ist…
Und wir sind fasziniert von der Idee der Wiedergeburt. Der Tod verliert ein Stück seines Schreckens, wenn wir in uns die Seele vermuten, die sich über viele Lebensgenerationen entwickelt und dabei in verschiedenen Körpern wohnt. Oder wie auch immer wir uns das hier im Westen zurecht legen, mit unserem Halbwissen und dem Wunsch, eine Lehre zu glauben, die doch so toll ohne strafenden Gott auskommt, ohne Zepter schwingende Oberen, die uns zur Busse mahnen…

Doch wie ist es denn mit dem Kern der Wahrheit? Ist Wahrheit jemals beliebig? Natürlich nicht. Wenn am Schluss des Weges die wirkliche Wahrheit für alle die gleiche ist, dann ist der Weg dahin für uns alle der gleiche, geprägt und bestimmt von den gleichen Irrtümern, unter denen wir auf die unterschiedlichste Weise leiden werden. Da ist es wieder, dieses Wort:

Leid.

Und damit verbunden ist die Botschaft: Auch und gerade für Buddhisten ist das Leben ein Leidensweg. Und was ein Buddhist anstrebt, ist, NICHT wiedergeboren zu werden. Er spricht von Erleuchtung, nicht von einer Erlösung, welche eine Instanz gewährt, und er empfindet praktisch alle menschlichen Regungen und Emotionen als Phänomene, die, nach dem Lustprinzip ausgelebt, Quelle zusätzlichen Leids darstellen. Die buddhistisch verbindlich verstandene Lebenslehre hat sehr viel mehr mit dem Begriff des menschlichen Fehlers, der Leid verursacht, zu tun, als so manchem Sinnsuchenden bei uns lieb sein mag.

Und auch eine buddhistische Glaubenslehre formt Gemeinschaften, die restriktive Züge haben: Selbst der Dalai Lama kann sich gegenüber “Sekten” seiner Glaubenskongregation sehr unnachgiebig zeigen. Auch darin liegt eine Wahrheit jenseits aller romantischen Sehnsüchte:

Das Verhältnis zwischen Meister und Schüler kennt vor allem eines: Autorität. Und das Wohlergehen des Schülers ist auch und gerade von der Weisheit seines Lehrers abhängig, von dessen Weitsicht und seinem übergeordneten Prinzip, wie er seine Lehre im Spannungsfeld von Dogma und Überzeugung vermitteln kann. Kaum eine Vermittlung von Wissen funktioniert ohne jegliche Hierarchie: Der Student “glaubt” einem Professor – er geht zumindest davon aus, dass dessen Lehre zu prüfen, wahrscheinlich auch schlicht, dass sie zu lernen sei. Und wer ein Buch liest, “glaubt”, dass ihm dessen Lektüre eine Art Gewinn bringen kann, den man zwar selbst definiert, der aber geschenkt wird, in der Fähigkeit eines andern begründet liegt.
Und Sie lesen diesen Text nur, weil Sie mir zubilligen, dass ich zumindest nachdenkenswerte Überlegungen formuliere. Sie hegen die Vermutung, ich könnte über so viele Erfahrungswerte verfügen, die es lohnenswert machen, diese Sätze zu lesen. Sie werden sich hoffentlich ihre eigenen Gedanken dazu machen und nicht “dogmatisiert” weiter klicken. Aber Sie haben lange zuvor auf Grund sehr subjektiver Prozesse entschieden, dass Sie mir “zuhören” wollen.

Im Grunde wünschen wir uns alle Verbindlichkeit. Wir möchten uns auf Annahmen verlassen können, auf Zusagen, auf Seriösität. Wir brauchen Werte, und die meisten brauchen Gemeinschaft. Wir alle fühlen uns sicherer und geborgener, wenn wir mit unseren tiefer liegenden Zweifeln über unser eigenes Wesen nicht immer allein sind. Darum haben Religionsgemeinschaften immer das Potential, zu einer grossen persönlichen Seelenpein zu werden, oder zu einem Hort echter Geborgenheit.

Das Leid aber, das dem Leben innewohnt, wird durch keine Lebenslehre wegbedungen. Wir müssen mit uns umgehen. Auch und gerade in diesem Leben.