Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unser Leistungsguru Armstrong am Boden.

∞  22 Oktober 2012, 20:30

Lance Armstrong wird definitiv aus allen Ranglisten getilgt. Erst jetzt, so scheint es, verschlägt es uns Allen definitiv den Atem ob der schieren Ungeheuerlichkeit, die nun offen ausgebreitet vor der Weltöffentlichkeit liegt.

istockphoto.com/koun

Der 1000seitige Bericht ist ja schon länger zugänglich, die Kommentare sind auch schon zu Tausenden geschrieben worden. Im Grunde konnten sich alle das Urteil zu Lance Armstrong schon bilden. Aber obwohl die UCI im Grunde gar nicht anders konnte, als der Empfehlung der USADA zu folgen, ist das nun ausgesprochene Verdikt erst die eigentliche Klappe, mit welcher der Film des Lance Armstrong als strahlendem Weltstar gekappt wird.

Aus.

Alles ein Beschiss erster Güte: Mit einer unglaublichen Energie und einer ausgeklügelten Systematik hat da einer nicht nur Doping betrieben, sondern ein System installiert, das mit gegenseitigen Abhängigkeiten, Drohungen und dem Ausnützen von Geltungsinstinkten erst aufgebaut, dann ausgebaut und dann am Leben gehalten wurde. Da wollte einer Superman sein und glaubte alsbald daran, die ganze Welt manipulieren zu können. Jeder einzelne Erfolg, bei dem die Druckausübung oder die Bestechung funktionierte, muss diesen Mann darin bestärkt haben, allen überlegen zu sein. Die Art, wie Lance Armstrong gerade heute noch auftritt, lässt ahnen, wie wenig Bodenkontakt er noch besitzt. Da hat sich ein Selbstbild verselbständigt, das auch von Armstrong selbst nicht mehr aufzufangen sein wird. Alles Pappmaché, das eingerissen wird. Lustvoll und mit selbstgerechter Entrüstung, gerade von jenen, die das System möglich machten, weil sie einfach nicht glauben mochten, was schon längst zu vermuten war.

Dieser Radfahrer duldete keinen Widersrpuch, er malte sich sein Bild und liess die richtigen Personen und Firmen an seinem “Erfolg” mitverdienen, so dass lange, sehr lange alles gut zu gehen schien: Je grösser der Star, die Leuchtkraft am Sportlerhimmel, um so unangreifbarer wirst Du. Nur eines hat Armstrong nicht bedacht: Ihm felhte stets der Charme des Siegers. Den Mann umgab stets eine neblige Kälte, so, als wäre er gerade einem Fass mit Trockeneis entstiegen. Da gab es eine Aura des Siegers, der Leistung, aber nahbar, erfahrbar wurde der Sportler Armstrong nie. Heute wissen alle, warum: Wer ein Leben so aufbaut, muss alles unter Kontrolle haben. Sich selbst und die Reaktionen und Handlungen vieler weiterer Personen. Es konnte gar nicht ausbleiben, dass viele Menschen mit Wissen involviert waren oder zumindest ahnen konnten, wie viel Dreck mit im Spiel war.

Aber der Amerikaner stürzte nicht, weil ihn Sportverbände als die Pestbeule erkannten, die er für sie zu werden drohte, sondern weil einzelne Ermittler einer Dopingagentur nicht locker liessen und die strafrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen begannen. Der Sport an sich und aus sich heraus ist viel zu schwach und zu sehr auf Schadensbegrenzung konditioniert. Das gilt wohl für jeden Weltsportverband – und das macht die Causa Lance Armstrong stets von Neuem möglich. Erst und nur da, wo Sportler mit Aussagen vor Untersuchungsgremien einen Meineid riskieren und Doping strafrechtlich sanktioniert wird, ist es möglich, solche Systeme aufzubrechen und die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Lance Armstrong wird sich wohl bis ans Lebensende seine eigene Wahrheit aufrecht erhalten. Zu lange hat er zu viel in diese Selbstlüge investiert, und je länger ihm zugesehen wird, um so mehr wird einen das unangenehme Gefühl beschleichen, dass die grösste Frechheit darin bestand, sich zu einer Heilsbringer-Figur hoch zu stilisieren und zu meinen, mit dem nun bekannten Hintergrund damit auch noch durchzukommen. Es gibt Gurus von Sekten, die eine ähnliche Unverschämtheit an den Tag legen, und diese Haltung muss von solchen Typen irgendwie echt geglaubt werden, sonst wäre das gar nicht durchzuziehen und in so manchem Interview der Saubermann zu spielen.

Dabei ist es eines, auf Anfrage jeden Flecken auf der Weste zu verleugnen, aber es zeugt andererseits von einer ganz eigenen Arroganz, sich auch noch so offensiv ins Zentrum der heilen Welt zu stellen, wie es Armstrong getan hat. Er hat uns alle damit an der Nase herum geführt, jeden Respekt für jedermann vermissen lassen – und sich wohl oft gesagt, dass er genau richtig liegt, weil doch gar niemand was anderes will: Die Zuschauer wollen sich den Strahlemann, den Sieger, der längst eine Art Frustkompensation darstellt, nicht kaputt machen lassen – und für die Verbände ist die schlimmste aller Möglichkeiten ein Doping-Absturz der Helden.

So ist es gut, richtig gut, dass wir so lange hin gesehen haben, obwohl wir es alle eigentlich schon besser wussten, dass die UCI statt Auffälligkeiten in Dopingproben weiter zu untersuchen, eine Geldspende von Armstrong zur Dopingbekämpfung dankend entgegen nahm, usw. usw. Das Spiegelbild ist hässlich, aber wir haben es alles verdient.

Jetzt wendet sich das Blatt. Sponsoren wenden sich entrüstet ab und stellen Schadenersatzforderungen an Armstrong – was an sich ein Witz ist aber wohl laut Vertragstext möglich. Denn Nike und Konsorten haben mit Armstrong ganz gewiss viel mehr Geld verdient, als ihnen nun durch die Lappen geht, und sie haben Verträge erneuert und weiter mit ihm gearbeitet, weil wir uns ja so lange wie irgend möglich von Typen wie Armstrong vorspielen lassen wollen, dass das Leben Sieger liebt. Und nichts anderes.

Armstrong hat das Spiel bis zum Exzess gespielt. Das System wird ihn unter sich begraben, genau so, wie er es Wankelmütigen ganz gewiss in unzähligen Gesprächen als Horrorszenario ausgemalt hat. Die Sportmaschinerie aber wird weiter goldene Dukaten ausspucken und entsprechend mit Schmieröl aus der Pharma- und Finanzwelt am Drehen gehalten werden. Naturgemäss ist daher der Armstrong-Skandal der bisher grösste Dopingskandal im Sport – aber gewiss nicht der letzte und wohl kaum der grösste für alle Zeiten.