Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unser Gesicht auf Bildern

∞  26 Juni 2011, 20:47

Sind Sie musikalisch? Sind Sie fotogen? Ist man das eine wie das andere einfach so? Was bedeutet denn “fotogen”? Und warum haben doch fast alle Menschen ein Foto von sich, das ihnen durchaus gefällt?


Ich bin nicht fotogen! Diesem Ausspruch will ich als Amateurfotograf immer sofort widersprechen. Etwa so, wie musische Menschen meinen, es gäbe keine unmusikalischen Zeitgenossen (es gibt sie!). Man kann von jedem Menschen “ein gutes Foto” machen, sage ich dann. Und doch hat die Person vielleicht recht. Es gibt ausgesprochen fotogene Menschen, die auf Fotos immer “natürlich” wirken, lachen und gewinnend rüberkommen.

Also anders herum: Definiere “gut”.
Ja, es gibt Menschen, welche auf Fotos “immer” sympathisch wirken, die mit Offenheit oder mit einer geheimnisvollen Art der Verschlossenheit neugierig machen. Wenn es aber darum geht, ein autentisches Foto zu machen, dann ist dieses Foto immer ein gutes Stück weit privat – weil es einen Menschen “zeigt”. Ein Model “neu” zu fotografieren, kann beinahe unmöglich werden, weil eine solche Person jede Emotion “darstellt”. Die Kamerapräsenz ist dann nur eine Facette, ein Bild, das alle zufrieden macht, welche es ansehen, weil sie das bekommen, was sie auch erwartet haben.

Es gibt in der ZEIT eine Serie Portraitfotos (im Magazin), in der bekannte Persönlichkeiten mit geschlossenen Augen portraitiert werden. Die Serie nennt sich “Ich habe einen Traum” und wird mit persönlichen Worten der portraitierten Person zu eben diesem Traum unterlegt.
Lassen Sie sich mal mit geschlossenen Augen fotografieren – oder bieten sie solche Fotos als Fotograf an. Dem Betrachter wird ein sonst angesteuerter Fixpunkt, der Blick der fotografierten Person vorenthalten, womit der Fixpunkt, den man im Bild sonst automatisch sucht, fehlt. Wenn man über die Gesichtszüge streift, dann fühlt man sich ein wenig wie ein unstatthafter Betrachter. Aber auch so ist einem Gesicht sehr deutlich zu entnehmen, ob es unter Anspannung steht oder gelöst erscheint.

Sich so fotografieren zu lassen, braucht noch mehr Vertrauen. Es macht bildhaft, was eben immer abläuft, zwischen Kamera und Subjekt: Der Versuch der Kontrolle und die Versuchte Abwehr eines gestohlenen Augenblicks. Ja. Fotokameras können stressen. Auf jedem Fest, bei jeder Gelegenheit. Wir alle kennen Fotos von uns, auf denen wir uns selbst in einer Weise sehen, wie das niemals zuvor der Fall war. Wir können uns selbst dann sehr fremd vorkommen – etwa so, wie wenn wir unsere Stimme aufgezeichnet vorgespielt bekommen.

Wir wissen selbst am allerbesten, wie sehr oder wie wenig wir das sind auf dem Foto. Ob es also gut ist oder nicht, im Sinne von authentisch, aussagefähig. Und selbstverständlich müssen wir niemandem, schon gar keinem “Fremden”, unser Gesicht zeigen. Nur lässt sich nicht für sich behalten, was uns ausmacht. Wir tragen uns ja mit uns mit. Vielleicht gerade dann, wenn niemand Bekannter da ist, der sein Bild von uns sehen will, das er “kennt”. Nicht wenige von uns dürften das Foto, das ihnen von sich selbst am besten gefällt, einer relativ fremden Person “verdanken”. Es gibt eben auch den unvoreingenommenen Blick des Fotografen.

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Nachtrag: Der Artikel ist ganz bewusst nicht mit Bildern dokumentiert. Wir alle haben bei diesem Thema unsere eigenen Bilder und Beispiele im Kopf.