Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unerträglich

∞  8 April 2007, 12:50

Ich habe schlecht geschlafen. Vielleicht hätte ich nicht mehr zappen sollen. So bin ich auf Pro Sieben mitten in die orgiastische Gewaltorgie der Kreuzigung Christi geraten, oder vielmehr des Leidenswegs Christi bis zum Ende am Kreuz.

Schon aus den Berichten in der Presse, als der Film The Passion of Christ in den Kinos lief, bin ich nicht so richtig schlau geworden, und gänzlich fassungslos bin ich, wenn ich – nachträglich – folgenden Lobpreisungstext für den Film lese:

Auf einzigartige, authentische Weise erzählt das bildgewaltige Drama die letzten Stunden von Jesus Christus. Das kontrovers diskutierte Meisterwerk von Mel Gibson brach am US-Boxoffice sämtliche Rekorde. “Die Passion Christi” hatte schon im Vorverkauf mehr Karten verkauft als jeder andere Film in der Geschichte des Kinos.

Meisterwerk? Authentisch? Gewiss, der Film ist handwerklich in bester Hollywood-Manier hervorragend gemacht. Aber er ist in seinem Resultat einfach nur unerträglich. Die halbe Stunde, die ich gesehen habe, dokumentiert nur eines: Das Leid einer Folterung, wobei die Kamera ganz nahe heran geht und keine klaffende Wunde und kein blind werdendes Auge auslässt, alles blutgeschwängert bis ins letzte Detail. Es ist dies der ideale Film, um die konservative Christianisierungswelle in den USA zu schüren und Eiferer an die Front zu spülen, die uns mit ihrer Bigotterie die Art von Heil bringen, die sie glauben, dem Islamismus entgegen setzen zu müssen. Ob Mel Gibson zudem die richtige Figur ist, ein solches Werk glaubhafter zu machen, sei dahin gestellt. Er ist auf jeden Fall die Person, die als Teil einer Industrie auch erheblich Kasse macht, was dies alles noch unerträglicher werden lässt:

Mit dem Aufruhr und der scheinbaren „Erweckung“ christlicher Tradition wird Geld gemacht. Und die neuerdings bewegten Christen im Geiste dieses Films machen mobil und können mobil gehalten werden zur Schürung jeder Angst, die uns angesichts unserer aufgeweichten christlichen, langsam im Konsum verludernden Kultur längst erfasst hat, wenn wir uns zu Recht unsere Dekadenz vorhalten lassen müssen.

Der gleiche Film, ein vergleichbarer Aufwand, wäre für die Liebesbotschaft Christi nie aufgewendet worden. Der Polterer und Eiferer Gibson hätte die Bergpredigt oder den Korinther 13 niemals zum Zentrum eines Films gemacht. Dabei ist die göttliche Liebe, wie sie Christen glauben und erfahren und für sich geschenkt leben dürfen, eine wahre Quelle menschlicher Energie für den Umgang mit einander in intakten und gesunden Gemeinschaften, in denen sich Menschen mit dem Wunsch nach einem liebevollen Miteinander finden können. Es braucht dafür keinerlei Schwärmerei – sie ist im Gegenteil schädlich, weil sie niemals aus sich selbst weiter lebt, sondern hoch gekocht wird. Es braucht „nur“ Kontemplation: Persönliches Einlassen auf die Liebesbotschaft Jesu.
Das wäre dann eben eher das Vorleben, meinetwegen die Predigt (oder das gemeinsame Mahl danach) – und weniger die sensationsgeschwängerte Filmaufführung im Gemeindesaal.