Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Über Religion kann ich diskutieren, vom Glauben nur erzählen

∞  13 Juli 2012, 15:37

Sag mal, @Thinkabout, wie hältst du es mit der Religion? Ich frag, weil du so anders über Tennis oder Fußball schreibst, näher an deinem Leben und tiefer, sogar so, dass ich zum ersten Mal Sportbegeisterung verstehe. Geht es um Religion, dann spüre ich dich selbst kaum mehr darin. Frech gefragt: Ist Gott ein Ball?

Dirk, im Kommentar



Ja, wie schreibt man, wie schreibe ich denn über Religion? Aber das ist hier ja gar nicht wirklich gemeint. Dirk fragt nach meinem Glauben, und das ist etwas fundamental anderes.

istockphoto.com/koun

Diese Frage stellt mir ein immer wiederkehrender Wegbegleiter, der mich aus persönlichen Gesprächen kennt, in denen wir uns gegenseitig schon erspüren durften, auch dann, wenn uns zwischen Wortgewalt und Gedankengeschleuder mal Ruhe erreichte, und wir einfach nur bei einander sitzen konnten. Wir hatten dabei alle unsere Sinne zur Verfügung, konnten uns in die Augen sehen – oder gemeinsam in die Ferne. Das ist etwas fundamental Anderes als eine Gedankenlinie auf Papier – oder ein Knäuel aus eben solchen Fetzen. Und der Klang der eigenen Stimme vermag auszukleiden, wie Sätze gemeint sind, kann einer Glaubensmaxime jeden Verdacht auf dogmatische Absichten nehmen – während man keinerlei unmittelbare Rückkopplung über Gesagtes bekommt, wenn man es ins Internet schreibt.

Ich bin ziemlich sicher, dass meine Sätze über meinen Glauben ganz anders wirken, wenn sie in einem Mail stehen und dahinter die Frage eines Freundes steht. Ich lasse mich zu meinem Glauben ansprechen, aber ich habe die grössten Schwierigkeiten, ihn ungefragt zum Besten zu geben. Nach meinem Verständnis sollte ich nach einer Überzeugung leben, handeln und eine entsprechende Haltung verkörpern – und wenn dann jemand sich für meine Motivation interessiert, dann erzähle ich gern davon. Bei keinem anderen Thema ist die Gefahr des Missverstehen so nah – und meine persönliche Qual grösser, wenn ich feststelle, dass ich mich nicht erklären kann. Ich gebe zu, dass mir dann die Demut abhanden kommt und ich mich in eine Rolle denke, die ich gar nicht erfüllen muss:

Denn, ob und wie meine Worte ankommen, verstanden werden, gewogen und für bedenkenswert oder unpassend befunden werden, ist keinem Thema so vorgegeben wie diesem – und braucht doch gleichwohl keine Sorge an sich zu sein, denn wenn für etwas gesorgt ist, dann für die Tatsache, dass kein Glaube Tragfähigkeit erlangen kann, der aufgeschwatzt wird. Und das ist gut so.

Tatsächlich spielt mein Gott natürlich auch Fussball. Alles, was in meinem Dasein lebt, was mich weckt oder schlafen lässt, was lebendig ist, stellt mir einen Bezug zu Gott her – und nichts befreit mich mehr von jeder Schwere, wie die offensichtlich keine staatstragende Bedeutung benötigende Rechtfertigung, einem Ball nachzujagen – oder dabei zuzusehen.

Die aktuelle Diskussion bei Claudia ist ein gutes Beispiel dafür, dass praktisch jede Diskussion im Netz über Religionen eine abstrakte Versachlichung erfährt, auf Grund derer man erst über Religion als Element der eine Gesellschaft mit bestimmenden Grundwerte diskutieren kann – und über die Restriktionen, welche autoritäre Ausgestaltungen zur Folge haben können. Der persönliche Glaube und das Erzählen darüber kann die Diskussion nicht lenken – es macht nur deutlich, dass “die Religion” ohne den persönlichen Umgang mit ihr und die Erfahrung mit ihren Gestaltungsformen gar nicht diskutiert würde – und in diesem Kontext stelle ich persönliche Glaubenserfahrung durchaus dar – allerdings tatsächlich mit einer Distanzierung, welche es möglich machen soll, entsprechende Sätze einfach stehen lassen zu können. Denn Aussagen über persönlichen Glauben können mit Fragen um die gesellschaftliche Bedeutung von Religion nicht streiten. Sie entziehen sich vielmehr einem Für und Wider, genau so, wie sich eine persönliche Erfahrung durch einen dialektischen Gedanken nicht wirklich herausgefordert fühlt.