Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Tote, die für tausende Leidensgeschichten stehen

∞  17 März 2008, 23:26

Es ist nicht klar, wieviele Tote es in Tibet bisher durch die Unruhen gegeben hat, um es einmal neutral zu formulieren. Nach chinesischen Meldungen sind es 10, nach denjenigen tibetischer Organisationen an die hundert, Stand gestern.

Wahrscheinlich sind es mehr. Denn so abgeschottet ist das Land, dass es beinahe unmöglich ist, verlässliche Informationen zu bekommen. Dabei quält mich an diesen Vermutungen und Abwägungen etwas ganz anderes viel mehr:

Denn es gibt Tausende, ja, wirlich Tausende von Menschen, die in einer solchen Phase hinter chinesischen Gefängnismauern verschwinden, und keiner weiss, wann und ob sie wieder auftauchen. Wie grausam einsam und verloren müssen sich diese Menschen fühlen, hinter dicksten Gefängnismauern, sadistischen Folterern ausgeliefert, in einem Gefängnis, das in einem Land liegt, das für sich schon ein Gefängnis darstellt, so dass gar nichts über das eigene Schicksal nach aussen dringt. Erst wirst Du beachtet. Sie foltern Dich, weil sie Informationen wollen. Dann machen sie noch ein bisschen oder sehr lange weiter, aus Gewohnheit, oder aus Spass, vielleicht auch nur, um sich die Langeweile zu vertreiben.

Richtig schlimm aber ist es danach. Wenn Du vergessen gehst und gar niemand mehr kommt. Wenn jegliches Zeitgefühl verloren geht und nichts Dich retten kann als allenfalls irgend eine absurde Laune des Schicksals.

In diesen Tagen stand zu lesen, dass die chinesischen Behörden in Lhasa sämtliche ehemaligen politischen Häftlinge wieder verhaftet haben. Prophylaktisch, sozusagen.

Einmal ein Staatsfeind, immer ein Staatsfeind. Es hört nie auf. Die Willkür in den Händen willfährigster Helfer eines Systems der systematischen Unterdrückung, das dem Verständnis von Herren- und anderen Menschen sehr nahe kommt…

Solche Geschichten verstecken sich zu tausenden hinter den gegenwärtigen Nachrichten von 10 oder 100 Toten. Diejenigen, deren Leiden ein Ende hat, stehen nur an der Spitze einer endlosen Reihe. Wir sehen sie zwar nicht, aber wenn wir uns hinfühlen, wenn wir zwischen den Worten, ja in den Verlautbarungen der chinesischen Behörden lesen, dann können wir sicher sein, dass wir das Wahre in seiner Ungeheuerlichkeit erst andenken, aber ganz sicher nicht übertreiben…
Selbst dann nicht, wenn wir von ferne zu beobachten versuchen müssen, da sämtliche Ausländer aufgefordert sind, Tibet zu verlassen.

Und genau deshalb will ich hier die Geschichte eines tibetischen Mönchs zum Abschluss erzählen. Der Mann war 17 Jahre in chineschen Gefängnissen eingekerkert. Als er frei kam, wurde er gefragt, vor was er in dieser Zeit am meisten Angst gehabt hätte?
Seine Antwort war:

“Dass ich das Mitgefühl für meine Peiniger verliere.”

Ist es nicht unglaublich, wie sehr wir unser Menschsein vergessen, aber auch bewahren können?