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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Tor-Schütze Kiessling

∞  21 Oktober 2013, 20:18

Fast immer gibt es eine aktuelle FIFA-Kampagne, in der zu Fairplay im Fussball aufgerufen wird. Doch wann immer ein offensichtlicher Beschiss im Spiel von keinem Spieler korrigiert und der Fehlentscheid des Schiedsrichters zu den eigenen Gunsten gern angenommen wird, sind die Antipoden und Offiziellen nach den Partie sehr zahm in ihrer Beurteilung: Fehlbare Spieler werden nicht oder kaum kritisiert.

Der Stürmer Kiessling steigt hoch und köpft aufs Tor. Sehr gute Chance aus sechs, sieben Metern. Doch der Ball streicht am Pfosten vorbei. Als Fernsehzuschauer sieht man, wie der Spieler sich die Haare rauft und mit sich hadernd abdreht. Doch der Ball kullert durch ein Loch im Seitennetz ins Gehäuse – und der Schiedsrichter erkennt auf Tor. Der Jubel ist verhalten, aber das Tor wird gegeben und alle Beschenkten verkneifen sich das Grinsen.

Interessant ist, wie moderat die Reaktionen nach Spielschluss sind – bei den Kommentatoren wie beim Trainer der benachteiligten Hoffenheimer, Markus Gisdol. Ganz offensichtlich will niemand Stefan Kiessling in die Pfanne hauen. Augenscheinlich ist der Gedanke hinter so mancher Trainerstirn an diesem Abend der gleiche: Was, wenn wir das nächste Mal die Begünstigten sind? Der Druck, der auf den Fussballern lastet, ist offensichtlich so hoch, dass gar niemandem mehr zugemutet wird, in einem solchen Fall bei der Wahrheit zu bleiben – oder dieser Wahrheit gar selbst Geltung zu verschaffen – und ein solches “Tor” gar nicht annehmen zu wollen. Die Belastung, mit einem Nicht-Tor Gewinner der Partie zu sein, ist ganz offensichtlich leichter zu verkraften als ein entgangener “Sieg”.

Wahrscheinlich bin ich total verknöchert, wenn ich jetzt den Begriff der “Ehre” ins Spiel bringe? Ich würde von mir erwarten, dass ich an dem Tag, an dem ich ein solches Tor “erziele”, und ich den Schiedsrichter nicht aktiv darauf hinweise, dass es gar keines ist, im Boden versinken würde vor Scham. Hier kommt noch dazu, dass ein “Geständnis” keine negativen Folgen hätte: Ich habe nur vorbei geköpft. Mir droht keine gelbe Karte, kein Platzverweis. Das Spiel würde einfach mit Abstoss weiter gehen. Sonst ist ja die FIFA / UEFA so dumm, das Fairplay zusätzlich zu erschweren. Hätte Henry im Barragespiel gegen Irland zugegeben, dass er den Ball gleich zweimal mit der Hand mitgenommen hatte, um das Tor vorzubereiten – er hätte für das Vergehen verwarnt oder womöglich vom Platz gestellt werden müssen (grobe Unsportlichkeit). Die Weisung an die Schiedsrichter sieht in diesem Fall immer die Sanktion nach dem Tatbestand vor, und es spielt keine Rolle, ob der Schiedsrichter ohne den Hinweis des Spielers oder dessen ehrliche Antwort auf die Frage einfach auf Tor entschieden hätte. Der gesunde Menschenverstand würde hier anderes vorsehen, denke ich, und das Fairplay, das eh schon Rachitis hat, könnte da schon ein wenig Unterstützung brauchen.

Vor allem aber wäre es wohl an der Zeit, dass die Begleiter des Sports, die Herren Kommentatoren und Journalisten sich bewusst machten, was sie eigentlich für Signale aussenden mit ihrer fehlenden Moralität, die ja vielleicht das Leben widerspiegeln mag, aber angesichts der Tatsache, wie Schiedsrichter immer mal wieder in die Pfanne gehauen werden, wenn sie Fehler machen, wären mit gleicher Elle auch mal jene zu messen, die solche Fehler wann immer möglich zu provozieren versuchen – oder wider besseres Wissen davon profitieren.

Es gibt dazu immer den Satz, dass sich solche glücklichen “Fügungen” über die Saison ausgleichen, aber ich weiss nicht, was ich in dem Moment an Selbstachtung verliere, wenn ich wie ein drittklassiger Schauspieler bei einer Berührung meines Gegners zu Boden sinke wie ein ins Auge gepiekster Boxer, oder wenn ich, eben, wissentlich bereit bin, als Torschütze zu gelten, obwohl ich es besser weiss.

In England gibt es Fans, welche die eigenen Stürmer auspfeifen, wenn sie versuchen, per Schwalbe einen Strafstoss zu provozieren. DAS hat Stil, meine Herren und zeigt: Wir alle haben eine Menge verloren mit unserer absoluten Verherrlichung des Erfolgs um jeden Preis.

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Kissling:

und
Henry (schlechte Auflösung, in den Wiederholungen sieht man es sehr gut):

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