Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Swissness - noch immer ein Wert

∞  9 April 2012, 21:09

In den aktuellen Diskussionen rund um die Schwarzgeldgeschäfte der Schweiz ärgert mich nichts so sehr wie der häufig in Leserkommentaren bei Zeitungen heraus zu hörende Grundtenor, der parasitären Schweiz müssten endlich die Saugröhrchen weg genommen werden.

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Man könnte meinen, wir würden uns einen faulen Lenz machen und gründeten unseren Wohlstand schlicht auf das anderen Staaten gestohlene Geld, das wir dann ein wenig bei uns arbeiten lassen. Die Attraktion der Schweiz scheint darin zu bestehen, dass wir jedem Finanzgauner beim Betrügen helfen, und uns den Profit dann mit diesen Kunden teilen, so dass wir beide zufrieden sind. Ausländische Unternehmen wie Privatpersonen suchen auch nur einen Sitz in der Schweiz, weil sich mit einem Steuersitz hier saumässig Geld sparen lässt.

Da auch in diesem Blog in der Vergangenheit oft genug betont wurde, welche Fehler die Schweiz auf vielen Ebenen tatsächlich gemacht hat, erlaube ich mir, hier auf die obigen Pauschalisierungen mal ein kräftiges Kontra zu setzen, indem ich einmal auf ein paar Dinge hinweise, die bei uns ganz unabhängig von Konstrukten wie dem Bankgeheimnis ein bisschen anders gepolt sind, als in manch anderem nicht allzu weit entfernten Land – und die alle mit dazu beitragen, dass Geschäfte mit der Schweiz und mit Basis in der Schweiz für Investoren sehr attraktiv erscheinen. Es sind dies alles Faktoren, die mit den Bürgern in diesem Land zu tun haben und damit Ausdruck einer Basis geben, deren Leistungsbereitschaft ganz offensichtlich von einer Vielzahl von Entscheidungsträgern alles andere als mit dem Etikett “parasitär” versehen wird.

35-Stunden-Woche? Freitag nachmittags nicht mehr arbeiten? Die meisten Arbeitnehmer haben ein Wochenpensum von mehr als 40 Stunden im Vertrag stehen, und das soll für die Mehrzahl von uns auch so bleiben. Die hohe Arbeitsleistung der Schweizer Angestellten wird von diesen selbst im internationalen Wettbewerb durchaus als Trumpf gesehen, genauso wie der ausgeprägte Arbeitsfrieden in unserem Land: Selbst bei harten Tarifverhandlungen kommt es höchst selten zu Streiks.

Die Schweizer Politik kennt seit vielen Jahren eine Schuldenbremse, nach der der Staat nicht mehr Geld ausgeben soll, als er einnimmt. Trotzdem vergammeln bei uns kaum Strassen und andere infrastrukturelle Einrichtungen, obwohl diese Geld kosten und manchmal dafür höhere Gemeindesteuern nötig sind. Gerade auf kommunaler Ebene ist so ein Schritt absolut nicht chancenlos, obwohl ausgerechnet da Steuererhöhungen von der Gemeindeversammlung und damit von den Bürgern selbst genehmigt werden müssen.

Unsere Rentensysteme zur Altersvorsorge sind fortschrittlich ausgebaut, dennoch ist die sog. Staatsquote in der Schweiz relativ gering. Ganz offensichtlich lassen wir uns die Rente nicht einfach etwas kosten, sondern setzen sie in Bezug zu einer Wirtschaftsleistung und setzen Prioritäten. Im Gegenzug dann dies:
Vor wenigen Wochen wollte eine Volksinitiative eine zusätzliche Ferienwoche im Gesetz festschreiben. Das Volk hat dies abgelehnt.

Die Schweiz hat – zumindest bis zur Jahrtausendwende – überdurchschnittlich viele Nobelpreisträger hervor gebracht und verfügt über – gemessen an der geringen Bevölkerungszahl – erstaunlich angesehene Universitäten. Das Bildungsniveau ist hoch, die Affinität und die Bereitschaft zur Flexibilität auch, ohne dass man deswegen seine Wurzeln vergessen wollte. Wir leben mit mehr als 20% Ausländern in relativ ehrlichem Frieden in einem engen Land zusammen und sind in unserer Mehrzahl mehrsprachig. Mit uns lässt sich, tatsächlich, gut arbeiten und bei uns bekommt man für sein Geld eine Gegenleistung. Auch für das weisse.