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Surrealistisches Amerikanisches Theater, aber echt

∞  4 September 2008, 17:52

Eigentlich will ich mir gar nicht ausmalen, was die letzten Monate, und verstärkt in den letzten Wochen im Hause Palin, Gouverneurin Alaskas und Vizepräsidentschaftskandidatin der USA, los gewesen sein dürfte…


Erstrundensieg für Palin


Stellen Sie sich vor, sie sind in diesem Haushalt ein siebzehnjähriges Mädchen, das sich hat schwängern lassen – und damit die Fleisch gewordene wandelnde Anklage, dass Mama im eigenen Familien-Biotop ihre familienpolitischen Prinzipien nicht durchzusetzen im Stande war. Was für eine Schande! Die strikte Verfechterin vorehelicher Jungfräulichkeit ist gegen jede Abtreibung, auch nach der schlimmsten Vergewaltigung, gegen jede Sexualkunde in der Schule und entsprechende Geldverschwendung. So was gehört in der eigenen Familie vermittelt – allenfalls auch erst unmittelbar vor der Hochzeitsnacht.

Da ist was schief gelaufen. Aber die Hochzeitsnacht wird nachgeholt werden. Ich möchte wirklich nicht wissen, wie “affirmativ” das Problem mit der Tochter und dem Schwiegersohn in spe besprochen wurde… Angesichts der Karriere der Mutter und dem anerkannt ungünstigsten möglichen Zeitpunkt eines solchen Fehltritts ist die Zelebration der Familie Palin die einzige mögliche Antwort im konservativen Amerika.

In unseren europäischen Augen ist das Schauspiel der Parteitage in den USA höchst befremdend, und das Delegieren aller Familienmitglieder an die Frontlinie ein Zirkus.
Es wird die emotionale und moralische Verbundenheit im gemeinsamen Schicksal zelebriert. In einer Kulisse, die dem nächsten Mainzer Karneval Pate stehen könnte und mit einem wenige Monate alten Baby, das es ja darüber hinaus schon gibt, und das von Frau McCain (!) über Papa Palin bis zu allen Kindern durchgewiegt, aber immerhin nicht öffentlich gewickelt wird.

Grotesk daran wirkt auch der Schluss: Da stehen sie dann auf der Bühne, die Palins und ihr Strippenzieher McCain, und umarmen sich. Der Schwiegersohn und jugendliche Vater in spe, Hockeyspieler, steht hoffentlich auf dem Eis nicht so steif da wie jetzt auf der Bühne, als hätte er einen Spazierstock verschluckt, und Schwiegermama in spe Palin und McCain umarmen sich.
Da es für die USA völlig unerheblich ist, wie wir Europäer über dieses Theater denken, darf ich dazu auch weiter denken, was ich fühle, wenn ich die Bewegungen der Menschen auf dieser Bühne beobachte. Denn in Sachen körperlichem Ausdruck von Emotionalität bin ich gewissermassen Experte. Und was ich da sehe, das kenne ich, wenn auch nicht ganz so schlimm…

Beobachten Sie in den Wochen des Wahlkampfs einmal die Gestik von John McCain:
Der Mann versucht zwar ständig, mit seinen Armen und Händen zu reden. Aber seine Arme hängen an seinem Körper wie Stelzen, wie hölzerne Glieder eines Hampelmannes. Er bringt die Arme nie über Kopfhöhe, und sie wirken dabei steif und fremd, als könnte man sie abbrechen. Wenn er jemanden umarmt, dann wirkt es, als möchte er, wenn irgend möglich, keimfrei bleiben und er scheint gerade in diesem Moment auch an nichts anderes zu denken.

Der Mann hat Schlimmes erlebt, und dies alles gereicht ihm nicht zum Vorwurf. Aber ich möchte diesen Mann nicht unbedingt in dem Haus wissen, in das er unbedingt einziehen will… Und wenn dem alten Mann etwas widerfährt, was rein von der biologisch tickenden Uhr her nicht abwegig erscheint, dann bekommen wir unter Umständen tatsächlich die erste Präsidentin der USA. Es wird nicht die Frau sein, die alle erwartet haben…

+++

Und noch etwas:

Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass in den letzten Wochen vor der Nominierung von Frau Palin das Gerücht aufkam, ihr eigenes jüngstes Kind, vor wenigen Monaten geboren, wäre von ihrer Tochter ausgetragen worden?
Dieses Amerika zwischen burschikos-naiver religiös verbrämter Moralschwängerung und burlesk grotesker Mutmassung des Absonderlichsten wird sich keinem Aussenstehenden und manchem Einheimischen nie wirklich erschliessen… Es sei denn, die beiden Extreme lägen gar nicht so weit entfernt, sondern Schwindel erregend nahe auf, nein, sorry, bei einander!



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