Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Stundenhalt: Werden wir wieder verbindlich, und damit verlässlich

∞  15 Dezember 2009, 06:45

abelegt in den Themen Kolumnen
und Zugeneigt


Was ist dafür ausschlaggebend, dass wir uns unter anderen wohl fühlen, als Teil einer Gruppe, in einer Gemeinschaft, einem Quartier, einem Mieterhaus, einer Strasse, einem Dorf?

Je nach dem eigenen Temperament, nach der Art des Charakters, beantworten wir diese Frage sicher unterschiedlich. Dennoch haben wir alle ein Bedürfnis nach Sicherheit, nach Verlässlichkeit. Wir wünschen uns unsere unmittelbare Umgebung berechenbar – so langweilig das tönt.

Nur, was heisst das? Was brauchen wir dafür? Auch dies ist unterschiedlich. Und wenn Sie zu der Mehrzahl jener gehören, denen es heute besser geht als vor zwanzig Jahren, dann werden Sie vielleicht ein Stück weit erstaunt sein, feststellen zu müssen, dass Sie nicht unbdingt weniger Angst haben, weniger Gefahren für Ihre Sicherheit sehen, als früher. Eine Bedrohung liegt immer in der Luft, kann immer gesehen werden, ist mehr oder weniger greifbar. Dafür leben wir eng genug auf einander und ist unsere belastende Wirkung auf die Umwelt gross genug.

Was nun lässt uns diese Angst verlieren?
Dass wir einander “kennen”:
Dass das, was wir von einander wissen, ausreicht, darauf vertrauen zu können, dass der Nachbar mir nichts Böses will.
Wenn wir glauben können, dass alle oder die überwiegende Mehrzahl der Menschen Verantwortung fühlen und wahrnehmen, um dieses Zusammenleben zu erhalten oder gar zu verbessern.
Wenn gilt, was gesagt wird.
Wenn gesagt wird, was gedacht wird.
Wenn diese Art Verbindlichkeit da ist, welche bedeutet, dass man eine Meinung hat, dass man Werte kennt, die man nicht nur reklamiert, sondern für die man sich auch selbst in die Pflicht nehmen lässt, weil man – eben – ihren Wert erkennt und ihn “selbst wert sein will”.
Wenn es diese Verbindlichkeit gibt, welche nicht nur bekennt, sondern auch anmahnt.
Wenn die ehemals bekannten Werte etwas bleiben, für das man eine eigene Meinung riskiert, statt dass es nurmehr reine Worthülsen sind.

Hält das Leben keine konkreten Überlebensängste mehr bereit, ist Freizeit etwas, was nicht fehlt, sondern nur schwer mit Sinn erfüllt werden kann, ist die Realität des wirklichen Erlebens durch den Stellvertreter Fernsehen und durch das Internet ersetzt worden, dann verlernen wir es, unseren Geist und unseren Körper selbst zu befragen, ihn zu benutzen und zu schulen. Wir erleben immer mehr Dinge nur auf Distanz, haben dabei jede Menge Informationen und bekommen dazu genau so viele Meinungen geliefert, denen es immer mehr an dieser oben beschriebenen Verbindlichkeit mangelt.

Die Macht der Bilder verführt noch mehr zur Manipulation als die Macht der Worte. Wir finden uns nur noch vereint in der Übereinstimmung, dass jeder schon seines Glückes Schmid sei. Heute sagen wir Freiheit und meinen Unverbindlichkeit, als Recht aller zu unbegrenzter Individualität. Selbstverwirklichung soll das sein, was wir suchen: Anerkennung. Ganz dem Leistungsgedanken entsprechend. Dabei sind wir viel mehr als der Mainstream zuzulassen scheint.

Eine neue Frage macht viel reicher als ein nachgebeteter Gemeinplatz. Erst eine Toleranz, welche Angst und Unverständnis benennt und diese erst überwinden muss, ist verlässlich. Denn sie ist gelernt und nicht länger ein Lippenbekenntnis.
Der Angst der Muslime vor Ausgrenzung sollte mit dieser Art Toleranz begegnet werden. Und dabei ist auch klar: Der relative Frieden, in dem wir leben, schenkt uns etwas enorm kostbares: Die Zeit, uns kennen zu lernen. Raus aus den Schneckenhäusern, auf allen Seiten!