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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Stundenhalt: Die wirklich soziale Versicherung

∞  8 Januar 2010, 20:38

Wenn jeder für sich schaut, dann ist allen geholfen. Ein solcher Satz war vor nicht allzu langer Zeit nicht laut auszusprechen. Denkbar ist er schon lange. Und von vielen.

Woran nur mag das liegen, dass wir in der Sicht auf andere heute viel härter urteilen? Hat da jeder einzelne Bericht über einen Sozialschmarotzer dazu geführt, dass man nun lieber erst mal Verschwendung vermutet, statt notwendige Hilfestellung mit staatlichen Mitteln? Der Mittelstand hat so lange über die ständig steigende “Staatsquote” lamentiert, bis es nun alle ohne Nachdenken wiederholen und bejahen. Wer zu wenig klagt und schimpft, geht bei der nächsten Verteilrunde leer aus…

Wenn wir heute eine Erhöhung des AHV-Alters diskutieren, dann schimpfen alle. Weil sie Angst haben, keine Rente mehr zu bekommen. Dabei ist die demographische Entwicklung (immer weniger Junge zahlen, immer mehr Alte beziehen), ja was wohl? Richtig: Eine Folge des Wohlstands. Wer vermögend(er) wird hat tendenziell weniger Kinder, und lebt in immer besseren sanitarischen und der Gesundheit zuträglichen Verhältnissen. Wir bejammern also, dass wir vielleicht bald zwei Jahre länger arbeiten müssen, während wir im Schnitt zehn Jahre länger leben, als jene, welche die AHV installiert haben. Die AHV ist eine klassische Sozialversicherung nach dem Umlageverfahren: Die arbeitenden Generationen bezahlen für die Rentner. Umlageverfahren denken sich alle auch bei der Krankenkasse: Alle klagen über die hohen Prämien – und jeder greift sich das maximale Angebot, wenn er dann mal eine Grippe hat. Schliesslich bezahlt man ja kräftig. Nein: Wir bezahlen genau das für die Versicherungen, was es uns wert ist. Wenn es uns nichts mehr wert ist, wenn wir uns innerlich davon verabschieden, dann kommt es zu solchen Kostenexplosionen – oder zum Niedergang des Bewusstseins, das einer AHV die Funktion einer Säule unseres sozialen Friedens zuweist:
Wenn der Bürger damit zu rechnen beginnt, dass er mal selbst keine Rente mehr bekommt, wenn er den geringsten Grund hat, daran zu glauben, dann wird er sich innerlich vom Staat und seinen sozialen Funktionen verabschieden.

Ein Riesenproblem ist, dass man mit Kostenmodellen aufzeigen kann, immer schön im Sandkasten der Theorie, dass wir in zig Jahren – hier kennt die Theorie schon mehrere Szenarien oder Sandkästen – ganz sicher ein grosses Problem haben. Und weil man das Problem jetzt angehen müsste und jeder Politiker seinen Job behalten und wiedergewählt werden will – hat er dafür nur eine Lösung: Sparen. Kürzen. Wenn möglich einfach nicht bei der eigenen Klientel.
Keiner ruft laut: Hey, Leute, dann müssen eben höhere Beiträge bezahlt werden. Gratis ist gar nichts. 0.5 Lohnprozente würden schon sehr viel bringen… Wie teuer waren meine Ferien letztes Jahr, verglichen mit meinem Lohn?

Und bitte nicht damit argumentieren, dass die zweite Säule die bessere Alternative ist und doch jeder für sich selbst sparen soll, ja? Bitte nicht. Die Menschen, die von kruden Versicherungsmodellen und schwierig zu verstehenden bis schlicht unklaren Klauseln mehr als beschissen wurden und mieserable Zinsen ausbezahlt bekamen, auch in guten Jahren, könnten da was flüstern. Und jene erst, deren Versicherung ganz unterging… Nein, die staatstragende Idee einer wirklich sozialen AHV muss gestützt werden. Sie wird es freilich nur dann,wenn die Menschen in diesem System dies wollen und den Sinn und die positive Wohlfahrt darin erkennen: Aussicht auf Sicherheit im sozialen Altersnetz, weil eine Gemeinschaft als Ganzes dafür einsteht.


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