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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Stundenhalt: Die Krux mit der Anerkennung

∞  26 Februar 2011, 18:52

Wir alle brauchen Anerkennung, Legitimation, Auszeichnung, Respekt, Wertschätzung, um existieren zu können. Welche Massstäbe aber wenden wir selbst an uns an? Und: Können wir das überhaupt noch? Sind wir so frei, uns selbst zu genügen?


Ich bin ein Sportfan. Ich bin politisch interessiert. Ich versuche, wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen. Geschichte fasziniert mich, weil sie mir nahe bringt, was an menschlichen Leistungen nötig war, um die modernen Demokratien so zu entwickeln, wie sie heute bestehen.
Geschichte ist das Stichwort: Sie allein erlaubt die Distanz, um die Langzeitwirkung eines Ergeignisses oder die Arbeit einer Person wirklich schlüssig zu beurteilen. In jedem anderen Fall werden sehr schnell Leistungsausweise bemüht, zur Legitimation heran gezogen. Wir reden von Rekorden, Umsätzen, Gewinnsprüngen, Titeln, oder machen Bedeutung an Quoten fest. Wer wahr genommen wird, ist interessant, zumindest im Moment. Und wenn wir sagen, jemand hätte “Geschichte geschrieben”, dann können wir damit nur Rekorde und Besonderheiten meinen, die wir in eine Rangliste gliedern können.

Immer und immer wieder geht es dabei um Leistungsmerkmale, die wenig mit echter Qualität zu tun haben, aber viel mit den Mechanismen, in denen eine Gesellschaft funktioniert: Impulse, die eine Sofort-Reaktion auslösen, Legitimation herstellen. Anerkennung. Und diese ist ja nur dann besonders süss, wenn man die Früchte auch selbst ernten kann. Dafür machen wir alle, wenn wir es genau bedenken, viele Bocksprünge und betreiben einen Aufwand, der in sich selten einer Sache dient. Aber je mehr unsere Arbeitswelt und die gesellschaftlichen Verknüpfugen weitläufig, ja global werden, um so oberflächlicher und weitmaschiger muss erst mal durchgekämmt werden: Diplome und Werdegänge müssen je länger je mehr dokumentierbar sein, sonst fallen wir bei der ersten Sichtung schon durchs Raster.
Wenn man, wie ich, seinen ganzen beruflichen Werdegang als Autodidakt bestritten hat, learning by doing, so fragt man sich je länger je mehr: Wäre das heute noch möglich?

Einerseits mag unsere Welt mehr als je Sichtfenster bieten, um auf ungewöhnlichen Wegen ein Produkt, eine Idee zu präsentieren. Dazu aber muss man ein begnadeter Verkäufer sein, sonst geht man unter. Und die Beachtung ist ein immer flüchtiger werdendes Gut… Der Druck der Auslese, die Selektion scheint mir heute allgegenwärtiger zu sein als je zuvor. Und gleichzeitig scheint unsere Fähigkeit zu sinken, den äusserlichen Wertmassstäben zum Trotz mit Ernst bei einer Sache zu bleiben, die wir – ganz für uns – als wichtig und bedeutsam für uns betrachten.

Wir streben nach Anerkennung. Das ist völlig normal. Aber es wird ungesund, wenn ich dafür meine inneren Überzeugungen über Bord werfen muss. Und unsere schnelllebige Arbeitswelt ist voll von gut verdienenden Menschen, bei denen der respektable Lohn die Kompensation für solche verlorene Ideale darstellt. Wer dem Drive eines brummenden Jobs die Ideale einer „gesunden“ Arbeitsumgebung geopfert hat, kann sehr lange funktionieren und Teil des Systems sein – denn es funktioniert ja, es wirft das ab, was es verspricht, und scheinbar fragt niemand nach mehr, nach Tieferem. Aber wenn man von diesem System abgeworfen wird, wenn der Zug plötzlich ohne mich weiter fährt, dann kann es sehr schnell sehr einsam werden:
Wir sollten immer versuchen, uns selbst nicht fremd zu werden. Es ist ungesund, wenn man nur noch von Menschen umgeben ist, die einen nicht wirklich kennen (und es womöglich auch gar nicht wollen). Und es ist zerstörerisch, das, was sie in uns sehen wollen, zum ausreichenden Selbstbild werden zu lassen.

Wir brauchen alle Anerkennung. Wir brauchen Lohn, und damit Respekt für das, was wir tun. Jemand muss darin einen Wert erkennen und uns für die Zeit unserer Arbeit entschädigen. Wir müssen Leben und ein Auskommen finden. Aber wir müssen auch mit uns selbst auskommen. Darum sollten wir damit aufhören, Menschen nach ihrem Status zu beurteilen. Für mich sind Menschen attraktiv, welche persönlich zufrieden sind. Und es bleiben, egal, ob ich und andere das anerkennen und teilen.

Es mag sein, dass ich einen Wert für die Gesellschaft habe:
Ich führe vielleicht eine Abteilung mit Erfolg. Oder ich habe mitgeholfen, sie zu sanieren. Ich habe Arbeitsplätze geschaffen oder eingespart. Vielleicht gehöre ich zu den Glücklichen, die eher den Job wechseln könnten, als dass sie Angst haben müssten, ihn zu verlieren.
Wäre das Erfolg? Was ist mit Freunden, die mich nicht mehr kennen, mit einer Familie, die oft ohne mich auskommen muss, mit meiner Unzufriedenheit beim kleinsten Bremser? Was ist mit der Zeit, die irgendwann knapp wird? Wie schaue ich dann zurück?

Was bleibt wirklich wichtig? Ist eine Auszeichnung womöglich die grösste Herausforderung gewesen, die mir widerfuhr, weil sie mich aus einer Welt enthob, in der ich davor einen Wert hatte, den ich einfach nicht sehen oder mit dem ich mich nicht zufrieden geben wollte?
Warum tue ich Dinge nicht, deren Wert von anderen nicht verstanden würde? Warum bin ich mir allein ohne Anerkennung von aussen nicht wichtig genug?

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