Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Still die Nacht, seelig der Moment

∞  18 Dezember 2011, 08:00

Wieder mal: Eine Weihnachtsfeier im Altersheim. Thinkabout hat diesmal besser hingehört als auch schon. Obwohl …


Vorausschickend zwei Bemerkungen, damit ich nachher frei von der Leber weg schreiben kann:
1. Mein musikalisches Talent liegt exakt auf Nullniveau – und ich fürchte, das gilt auch für mein Musiverständnis als Zuhörer.
2. Habe ich verhältnismässig nahe am Wasser gebaut – und rührt mich Musik folglich schnell mal an.

Heute war Weihnachtsfeier im Altersheim. Wie eigentlich immer gab es viel feierliche klassische Musik. Den Namen, unter dem diese Sängerinnen und Sänger auftreten, habe ich nicht aufgeschnappt, und im Programm wurde er nicht genannt. Wie soll ich sagen? Es macht nichts.

Ich konnte mir durch den ganzen Vortrag nicht helfen: Irgendwie waren mir alle Stimmen, auch in ihrem Mix,einfach zu hoch. Selbst die beiden Männer bildeten nicht wirklich ein Kontra, und so fühlte ich mich mehr als einmal dabei ertappt, dass ich darum fürchtete, das leere Glas vor mir könnte zerspringen… Es sind gewiss schöne Stimmen gewesen, aber warum muss man als Banause dabei den Eindruck bekommen, dass, wenn man so schön singen kann, Schmerzen durchlitten werden? Ein einziges Lied, im zweiten Teil, rührte mich wirklich an: Es war, natürlich, jenes mit der weichsten und rundesten Melodie, gewiss am leichtesten vorzutragen…

Dennoch hatte ich keine Mühe, mich durch die Stunde zu hangeln. Sie wurde durch eine humorige Weihnachtsgeschichte des Pfarrers aufgelockert, die anschliessenden besinnlichen Worte waren ohne übertriebenen Pathos und boten ein schönes Sinnbild an, und während den Gesängen beschäftigte ich mich zum Beispiel mit der Frage, warum in einem solchen Fall die Farbe Schwarz auf der Bühne eigentlich jede Person gut kleidet. Festlich war’s und irgendwie ungezwungen: Es ist an einem solchen Ort selten auf allen Rängen durchgehend andächtig still, irgendwo nuschelt immer eine alte Seele etwas in den Raum, und, immerhin, niemand liess sich davon stören; auch auf der Bühne gab man sich deswegen nicht pikiert.

Und dann das Unvermeidliche: Der Klassiker zum Schluss. Stille Nacht. Zum Mitsingen. Das Licht per Dimmer zurück gefahren.

Plötzlich war wirklich Weihnachten, auf der Bühne lauschten einige der Sängerinnen in den Saal, wovon die Töne erstaunlich kräftig zurück kamen… Ich wendete den Kopf und blickte nach hinten, durch den ganzen Raum. Der Saal ist jeweils bis auf den letzten Platz besetzt. Alle Bewohner können maximal zwei Besucher mitbringen, aus Platzgründen. Und dahinter, an den Treppen, vor dem Ausschank, entlang den Wänden auf den Seiten standen die Pfleger und anderen Angestellten. Regungslos gebannt, alle Blicke nach vorn gewandt, wie in einem magischen Moment vereint. Personal und Bewohner und Angehörige mit einander, für einen Moment abgesetzt von jeder Betriebsamkeit, zusammen geführt an einem gemeinsamen Schnittpunkt des eigenen Lebens, Teil eines Teams, einer Aufgabe und, ja, näher am Lebenssinn als in Momenten, in denen die Kraft fehlt und die Zweifel nagen mögen.

Es ist Weihnachten. Und wenn es tatsächlich Weihnachten wird, ist das immer ein Geschenk.