Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Steve Jobs in Kleidern

∞  6 Oktober 2011, 21:27

Steve Jobs ist tot. Der Prototyp des Verkäufers schlechthin weilt nicht mehr unter uns. Steve Jobs konnte vielleicht nichts, von all dem, was er tat, am besten. Aber kein anderer war in der Lage, so gnadenlos rigoros die Vision des richtigen Produkts zu verfolgen, bis alle Beteiligten auf seine Linie eingeschwenkt und auch die entsprechende Arbeit abgeliefert hatten. Und er konnte das Ergebnis verkaufen und liess sich darin durch nichts bremsen.


Aber auch der beste Verkäufer schart nicht die ganze Welt hinter sich – auch dann nicht, wenn ein Teil dieser Welt ihm wie einem Messias huldigt und an seinen Lippen hängt, dass man meinen könnte, man wohne einem Kaufrausch-Gottesdienst und keiner Produktpräsentation bei.

Immer dann, wenn eine charismatische Persönlichkeit aus dem Bereich der Wirtschaft den letzten Weg voraus geht, dem einzigen, auf dem wir ihm tatsächlich folgen müssen, zeigt sich ein spezielles Dilemma ganz deutlich: Es werden unweigerlich Reden und Zitate zitiert, in denen dieser Mensch über seinen Tellerrand hinaus blickt und von der Ahnung spricht, dass “dieses sein Ding” nicht alles sein könnte, ja vielleicht noch nicht mal die Hauptsache.

Es ist dies der Zeitpunkt, in dem gerne auch wieder Steve Jobs Rede zitiert wird (via Markus Breuer), die, auch dies hier typisch, gerne als seine bemerkenswerteste bezeichnet wird. Es ist eine solche Rede im oben beschriebenen Sinne, und die einleitende Aufforderung:
Stay hungry, stay foolish!
Will einfach nicht so recht passen zu:
Ask yourself everyday, what would youd do if you are going to die?
Zentral führt er aus:

all external expectations, all pride, all fear of embarrassment or failure – these things just fall away in the face of death, leaving only what is truly important. Remembering that you are going to die is the best way I know to avoid the trap of thinking you have something to lose. You are already naked. There is no reason not to follow your heart.

Und natürlich wollen wir ihm recht geben, hängen wir an seinen Lippen, weil er “es” mit der gleichen Überzeugung an die Zuhörer bringt, als würde er das iPad3 präsentieren (nein, ich weiss nicht wirklich was von der nächsten Version, und es ist hier auch nicht wichtig).
Und ich lese es auch, beeindruckt und mit dem Gefühl, dass da einer etwas zu sagen hat. Und doch ist es so etwas von banal: Wir müssen alle sterben. Dass wir aber entsprechend nackt sind, das akzeptieren wir erst, wenn wir die Kleider vom Leib gerissen kriegen. Zuvor “wissen” wir – und handeln doch anders. Steve Jobs hat lange lieber seine Mitarbeiter weiter angetrieben, das Beste für ein neues Produkt zu leisten, als sich dieser Erkenntnis zu widmen.

Er war zum Zeitpunkt der Rede vor mehr als fünf Jahren schon sehr krank – und er hat seine letzte Produktpräsentation vor nicht allzu langer Zeit selbst gehalten. Ich bin nicht sicher, ob Steve Jobs damit den Hunger in sich stillen konnte.

Wir können uns noch so bewusst in Aufgaben stürzen, in Erlebnisse, Events – oder Retreats. So lange wir unsere Erwartungen nicht korrigiert bekommen, ist alles vergebens. Nicht den Hunger müssen wir wach halten – das will die Firma, die Bank, der eigene Geltungsdrang, die Erziehung. Nein. Wir wollen ihn doch im Grunde besiegen, diesen Hunger. Weil sonst am Ende immer alles zu wenig sein wird und kein Frieden mit dem gemacht werden kann, was nicht war.

Und wir? Wir lesen diese Sätze mit Interesse, mit Aufmerksamkeit, weil dahinter ein Mann steht, den wir auf Grund der Erfolge kennen und “werten”, die er in seinen irdischen Zwängen gefeiert hat. Wir alle bleiben gefangen in diesem Gefühl, nach weltlichen Dingen eine Bedeutung erlangen zu müssen, und wir hören denen zu, die es nach diesen Massstäben “geschafft haben”.

Steve Jobs ist viel zu früh gestorben. Ich hätte ihm, seiner Familie und uns gewünscht, dass er noch zwanzig Jahre hätte über sein nacktes echtes Leben reflektieren können – ihm und uns zum Nachdenken verhelfend. Wenn einer wie er dies geschafft hätte, dann wäre dies von einer Strahlkraft gewesen, die jede Produktpräsentation hätte überdauern können. Weil Wahrheiten keine neuen Versionen, Apps und Tools benötigen. Sie müssen noch nicht mal verkauft werden. Sie werden nicht wertlos, wenn es keinen Verkäufer für sie gibt.

Wenn also der Hunger nach mehr auch mal abgelegt werden darf – erst einmal, dann immer häufiger – dann kann man die Zeit ja durchaus nutzen, den Weg weiter zu gehen, den Steve Jobs hier angedacht hat. Der grosse Herausforderung ist es dann, sich ohne diesen Hunger vorstellen, ja ansehen zu können. Und womöglich ist es uns gewöhnlich Sterblichen viel leichter möglich, die eigene Nacktheit zu akzeptieren – bevor wir es zwingend zur Kenntnis nehmen müssen.

Good bye, Steve. We will follow you.