Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Steuergelder eintreiben oder einnehmen?

∞  24 Februar 2008, 17:19

Verwundert blicken wir nach Deutschland und reiben uns wieder mal die Augen. Der aktuelle Steuerskandal mit Steuerhinterziehungspraktiken mit Hilfe von Liechtensteiner Stiftungen wird von einer Tonlage offizieller politischer Stellen begleitet, die wir nicht mehr nachvollziehen können.
Ich sehe es an mir selbst: Ist es mir bisher schon schwer gefallen, aus Erzählungen von Freunden erfahrene Praktiken und Auswüchse von Hartz IV und Billigstjobs verstehen zu können und vor allem hinzunehmen, wie sich Arbeitsvermittlungsstellen und KMUS miteinander verschwistern, wenn die gegenseitigen Interessen an besserer Sozialstatistik auf der einen Seite und billig(s)te Arbeitskräfte auf der anderen sich unheilvoll für Betroffene ergänzen, so kenne ich mich jetzt erst recht nicht mehr aus.
Eigentlich könnte man ja JAWOLL rufen: Endlich geht es jenen an den Kragen, die den Hals nicht voll genug kriegen und jeglichen Gemeinschaftssinn als Steuerzahler vermissen lassen. Doch es wird über die Problematik hinaus, kriminell beschaffte, bereits erpresserisch verwendete Dateien nicht nur zu verwenden, sondern sie auch noch zu entlöhnen, mit dem Anlass Politik gemacht. Steueroasen wie Liechtenstein, Monaco und Andorra, eigentliche Steueroasen also, werden genau so unter Beschuss genommen wie (vermeintliche) Steuerparadiese wie die Schweiz, Österreich und Luxemburg.

Ich verstehe von den tatsächlichen Unterschieden der Steuersysteme viel zu wenig, als hier in diesem Sinn Kontra zu geben. Aber ich habe schon sehr grosse Lust, ein paar Beobachtungen weiter zu geben, die sich beim Vergleich des Umgangs zwischen Steuerbehörde und Bürger machen lassen. Also, genau genommen will ich Sie als LeserIn selbst vergleichen lassen, indem ich Ihnen einfach aus der Schweiz erzähle:

  1. Wir Schweizer stimmen über die Steuersätze ab. (Das führt übrigens nicht dazu, dass Steuererhöhungen in Gemeinden, Kantonen und Bund von vornherein chancenlos wären).
  2. Wir wählen die Finanzdirektoren von Gemeinden und Kantonen selbst
  3. Wir können mit dem zuständigen Steuerbeamten telefonieren
  4. Und dieser gibt selbst Auskunft über günstige Varianten – für den Bürger, so er denn danach gefragt wird (es kursiert das ungeheuerliche Wort vom Bürger als Kunden der Steuerverwaltungen)
  5. In der Schweiz wird es immer einen Steuerwettbewerb zwischen Gliedstaaten (Kantonen) geben. Diskutabel ist nur die Art und Spannbreite des zulässigen Wettbewerbs. Die föderalistische Grundidee der Steuererhebung ist demokratisch verstandenes Grundrecht der Gemeinschaft.

Dabei gewährt die Schweizer Steuerpraxis durchaus effiziente Informationsbeschaffung – in einem System, in dem der Bürger seine Einnahmen selbst deklariert, wohl auch notwendig. Trotzdem gehören Hausdurchsuchungen und Verhaftungen nicht dazu. Dafür aber

  1. Können Steuerbehörden Bankauszüge und Dokumente anfordern (sie zu verweigern, ist nicht unbedingt ratsam, weil man dann einfach so hoch eingeschätzt wird, dass man von selbst auf die Idee kommt, die falsche Veranlagung mit Dokumenten zu belegen)
  2. Die schweizerische Verrechnungssteuer auf hinterzogenen Kapitalerträgen ist wohl die höchste des Kontinents.
  3. Das Steueramt kennt die Zahlen des Geschäftspartners und kann fliessende Zahlungen vergleichen
  4. Die AHV darf die Daten an die Steuerbehörden weiterleiten
  5. Der strafbare Steuerbetrug umfasst auch getürkte Buchhaltungen
  6. Vielerorts sind die Steuerregister öffentlich


Fazit: Sogar wir Schweizer haben Grund, über die Steuerpraxis bei uns und das Ausmass der Belastungen sehr kontrovers zu diskutieren. Wir haben aber vor allem jeden Grund, uns gegen die Kritik aus der EU in der momentanen Form mit Entschiedenheit zu wehren und stattdessen darauf zu verweisen, dass der Unterschied nicht zuletzt in der Unschulds- und Freiheitsvermutung zugunsten der Bürger liegt.

Und diese Bürger kämpfen demokratisch laufend für einen einigermassen schlank bleibenden Staat. Die sog. Staatsquote ist zwar in den letzten Jahrzehnten beunruhigend gestiegen, verglichen mit den Lead-Staaten der EU, Deutschland, Frankreich und Italien kann die Schweiz zu deutlich tieferen Steuersätzen gleich gute (vorsichtig ausgedrückt) Schulen, Strassen, Spitäler oder Kehrichtanlagen vorweisen.

Die gleichen Politiker, die jetzt über die Grenze für uns denken, sollten diese Energie darauf verwenden, das zur Hälfte abgeschöpfte Volkseinkommen so einzusetzen, dass es der Bürger in den Leistungen des Staates wieder findet. Dafür wird auch bei uns immer wieder heftig gestritten. Scheinbar allerdings mit etwas mehr Erfolg als anderswo. Nicht zuletzt wohl deswegen, weil bei uns „der Staat“ ein bisschen mehr wirklich uns gehört. Und damit jeder „öffentliche“ Job ein bisschen näher bei den Wurzeln, nach denen er gedacht ist, ausgeübt wird. Das ergibt keine Garantien für mehr Gerechtigkeit, aber bessere Chancen hierfür.

(Vergleichende Fakten dieses Beitrags sind dem Artikel von Beat Kappeler in der NZZ am Sonntag von heute, 24. Februar 2008, „In Steuersachen könnte Europa viel von der Schweiz lernen“ entnommen).




Fundstück: Karikatur von Wilhelm Scholz (1824 – 1893), aus: Kladderadatsch, 1872

Anspielung auf die Höhe der steuerlichen Belastung und der Lebenshaltungskosten in der neuen Reichshauptstadt Berlin.
bei bundesfinanzakademie.de