Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Spontanität – kann man das wieder lernen?

∞  22 Juli 2011, 13:14

Spontane Gedanken über die uns fehlende Spontanität.


Wir haben “viel mehr Wetter” als in den letzten Jahren. Finde ich. Wann gab es das letzte Mal in den Sommermonaten so viele Tage, an denen sich die Wolken am Firmament zu riesigen Gebilden auftürmten? Manchmal sind wir hier rundum von Horizonten umgeben, die von Wolkenriesen bestimmt werden – während über uns der Himmel blaut. Nichts, was dich wärmt, Menschenkind, hat selbstverständliche Dauer. Alles ist vergänglich.

Eigentlich ist es für mich unerheblich, ob dies eine Folge der Klimaveränderung ist – das nächste Jahr mag wieder ganz anders sein. Allerdings scheint mir, dass sich die Natur und die von uns geschaffene Welt ganz ähnlich verhalten: Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt – und wir werden wohl auch entsprechend gründlich und laufend selbst verändert.

Ich würde schon lange gerne einen Freund anrufen. Und bemerke, wie schwierig ich mir das mache. Wann aber ist denn tatsächlich der dafür richtige Zeitpunkt, bitteschön? Bei der Arbeit ihn stören? Das dürfte ja wohl schlecht passen. Und am Abend? Wo ist das Zeitfenster zwischen Heimkehr, Abendessen und Abendausgang, Unterhaltung, Sport… ich weiss, man muss es einfach darauf ankommen lassen. Aber wie selten tun wir das wirklich? Und je länger je weniger?

Dabei würde unsere Welt und die Veränderungen, die wir angesprochen haben, doch geradezu nach Austausch verlangen. Das Gemeinsame, das Gesellige, das Gespräch, das Fühlen, wo mein Nächster ist: Wie wünschenswert es doch wäre.

Würde sich unser Leben mehr auf der Strasse, im Quartier abspielen, hätten wir Worte wie “aufgestellt” oder “spontan” nie erfinden müssen: Unser Leben wäre spontan und voller “aufgestellter” Achtsamkeit, weil wir ständig Wetter, Luft, Erde, Geräusche und Gespräche um uns herum hätten. Wir aber schliessen uns im Grunde weg, ins kuschelige Heim, fern ab von allem Unwägbaren. Das zum Spontanen verflixterweise dazu gehören würde.

Derweil türmen sich die in der Ferne die nächsten Wolken auf. Dabei hat es eben schon geschüttet. Nun glänzt der schwarze Asphalt dunkelblau unter dem aufgeklarten Himmel. Wir besuchen heute Nachmittag Freunde. Und wenn wir durch die Wolkenmassen hindurch stechen müssen. Wir tun es. Wahrscheinlich deshalb, weil wir uns schon länger verabredet haben. Und die Kirschtörtchen doch ihre Abnehmer finden sollen. Wir trauen unserer Spontanität eben nicht. Und das ist wahrscheinlich gut so.